Eine Kuh mit dem Vollbild von MKS
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Weltkarte zur Verbreitung von MKS klicke auf's BildIII

MKS-Verordnung 1992
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Töten, Verbrennen, Desinfizieren

Die Illusion der Seuchenfreiheit und ihre barbarische Konsequenz

Das Schweigen der Lämmer.

Heute werden in Großbritannien Kühe auf Scheiterhaufen verbrannt und Militär soll gegen 100 000 tragende Mutterschafe vorrücken. In Ländern wie Holland, Deutschland, die sich für zivilisierter halten, werden die Kühe in einem komplexen Prozess getötet, zermahlen, unter Druck auf 133 Grad erhitzt, getrocknet und sind dann bestens geeignet zur Verbrennung in Zementöfen. Ohne große Verdrängungsleistungen ist eine solche Barbarei nicht zu überstehen. Zu hoffen ist, daß sich diese Seuche nicht durch Erschöpfung und Gewöhnung erledigt, sondern daß wir durch eine humane Entscheidung dem Schrecken ein Ende setzen. Die Möglichkeiten dazu gibt es.

Geschichte einer Katastrophe

Der katastrophale Seuchenzug der MKS ist keine Naturkatastrophe, sondern von Menschen gemacht. 1992 kam es zu einer folgenschweren Wende bei der Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche (MKS). Die EU beschloss auf Betreiben Großbritanniens, daß die Tiere nicht mehr geimpft werden durften, sondern befallene Tiere getötet werden - sowie alle gesunden, die infiziert sein könnten. Diese neue „Eradications-Strategie" setzte darauf, das Virus auszurotten. Ein Ziel von erschütternder Schlichtheit, das nur verständlich wird, wenn man weiß, daß Europa in den 80er-Jahren seuchenfrei schien. Man ging daher davon aus, daß die Seuche höchstens noch in wenigen Einzelfällen auftreten könnte - rechnete also gar nicht mit den Massentötungen, die jetzt nötig werden. Zur EU-Wende in der Seuchenpolitik kam es, weil die 1966 eingeführte Impfung die MKS zwar zurückgedrängt hatte, doch gleichzeitig den Export lebender Zuchttiere behinderte. Etwa in die USA oder nach Japan. Denn geimpfte Tiere können Viren ausscheiden, obwohl sie selbst immun geworden sind. Nach einer Kosten-Nutzen-Analyse beschloss die EU die Eradications-Strategie. Die Einschleppungsgefahr des Virus durch den weltweiten Handel wurde riskiert. Das Exportinteresse setzte sich gegen das Urteil vieler Tierärzte durch. Das ging auch einige Jahre gut. Doch wie sollte das „seuchenfreie" Europa bei freiem Waren- und Personenverkehr verteidigt werden - gegen eine Seuche, die fast überall auf der Welt grassiert? Einer der Albträume für Tierärzte: Ein Bauernsohn kommt vom Kosovo-Einsatz nach Hause, geht in den Stall und schleppt die in Kosovo vermutete Seuche nach Deutschland ein. Um dies zu verhindern, gaben die Veterinäre, die die Soldaten begleiteten, die Losung aus: „Zurückkehren nur nackt und nüchtern. Und in Deutschland erst einmal eine Stunde duschen." Vorsorglich machte die Veterinärverwaltung Notfallübungen. Die frohe Botschaft der EXPO 2000 bekommt im Nachhinein einen dunklen Schatten: sie war für die niedersächsische Agrarverwaltung auch ein angsterregender möglicher Seuchenfall. Der Grundfehler der EU-Entscheidung war, „Seuchenfreiheit" bzw. die „Ausrottung" des Virus für möglich zu halten. Eine Ausrottungsstrategie führt bei der rapide voranschreitenden Globalisierung heute notwendigerweise zu Massentötungen. Ignoriert wurde, wie prinzipiell unüberschaubar die Möglichkeiten zur Weiterverbreitung der Seuche sind. Nicht nur die direkten Ausscheidungen oder die Milch des erkrankten Tiers können das Virus verbreiten. Die Lehrbücher zählen endlos die „belebten und unbelebten Zwischenträger" auf. Das können Vögel, Wild, Mäuse, Insekten sein. Der Mensch verschleppt das Virus an seiner Kleidung oder im Haar. An Heu, Futtermittel, Gemüse, Milchkannen kann es kleben. Über die Autoreifen der Transportfahrzeuge wandert es weiter. Sogar der Wind kann über kurze Strecken das Virus verbreiten. Selbst an Postsendungen kann es haften. Entsprechend schwierig, ja unmöglich ist es, den Einschleppungsweg des Erregers eindeutig zu ermitteln. So ist es kein Wunder, daß jetzt, wo die Seuche in Europa ausgebrochen ist, die verschiedensten Theorien kursieren: Waren es Lebensmittelabfälle von einem Schiff aus Asien, die dann an Schweine verfüttert wurden - oder waren es stattdessen Essensreste aus einem asiatischen Restaurant in Nordengland, die, nicht ordnungsgemäß erhitzt, im Schweinetrog landeten? Oder war es doch nicht Asien, sondern ein Schinkensandwich aus der Schulkantine des nordenglischen Heddon-on-the-Wall? Entsprechend umfassend sind die Abwehrmaßnahmen: Wurstbrote von Englandreisenden werden am Frankfurter Flughafen konfisziert und „unschädlich beseitigt", Autos werden beim Grenzübertritt desinfiziert usw. Wie in einem Kriminalfall beginnt die Suche nach den Schuldigen. Irgendjemand muss ja die Seuche von außen in das seuchenfreie Europa eingeschleppt haben. Dabei zeigt sich, daß es nur ein kleiner Schritt ist von der Illusion der „Seuchenfreiheit" bis zur blindwütigen Ausrottung der Tierbestände ganzer Regionen. Seitdem nicht mehr geimpft wird, sind alle Maßstäbe beim Umgang mit der Seuche verloren gegangen. Die Abwehr von Seuchen schlägt in Barbarei um.Frühere Zeiten hatten weniger Illusionen über Seuchenfreiheit daß sich die Seuche nicht besiegen, sondern nur begrenzen lässt - das war in früheren Zeiten selbstverständlich. Jeder ältere Dorfbewohner kann sich an einen Seuchenzug erinnern. Noch in den 50er Jahren wurde beim Auftreten der Seuche der Hof abgesperrt. Es durfte nichts herein und nichts heraus. Vor dem Stall lag ein mit Desinfektionsmitteln getränkter Sack. Die Familie blieb zu Hause. Da nichts mehr verkauft werden durfte, wurde die Milch und die eigenen Vorräte verarbeitet und selbst gegessen. Notgedrungen wurde die Ernährung einseitig: Es gab Grießbrei, Quark und wieder Grießbrei. Die Haut wurde rosarot und weich wie ein Kinderpo, so erzählen die Bauern noch heute. Der Dorfpolizist, den es ja damals noch gab, stand vor einer unlösbaren Aufgabe. Während er unten in der Straße aufpasste, gingen die Leute oben zum Kaufmann. So zog die Seuche doch durchs Dorf und zum Nachbardorf weiter. Oft wurde deshalb die Seuche gar nicht erst isoliert - sondern lieber gleich beschleunigt: Man strich gesunden Tieren den Speichel von erkrankten Tieren übers Maul. Nach drei Wochen war dann „durchgeseucht" und alle Tiere waren immun. In der Regel starben die Sauglämmer der Schafe und ein Teil der Kälber. Es gab auch bakterielle Folgeerkrankungen (Euterentzündung, Moderhinke u.a.). Doch der Hauptbestand der Rinder und Schweine konnte meist gerettet werden. Schlipfs seit 1841 in immer neuen Auflagen erscheinendes Handbuch der Landwirtschaft schreibt 1859 zur MKS: „Eine ärztliche Behandlung ist im Allgemeinen nicht erforderlich, da die Krankheit in den meisten Fällen innerhalb 8-14 Tagen von selbst heilt . . . Auch wird die Heilung dadurch befördert, daß man den Tieren das Maul öfters mit einer Mischung von Wasser und Essig auswascht, und um die Klauen Umschläge von Lehm mit Essig macht. Immer ist es nötig, daß man die Thiere rein und den Stall trocken hält, auch nur weiche Nahrungsmittel, gesottene Kartoffeln, Kleien- oder Mehltränke darreichen läßt, welche nicht stark gekaut zu werden braucht." Bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts war das herrschende Lehrmeinung. Fürsorglicher Umgang mit dem kranken Tier wurde gefordert. Unvorstellbar war, daß erkrankte Tiere getötet und entsorgt wurden. Tiere waren etwas Wertvolles, eine Grundlage der Existenz. In Asien „grassiert" die Seuche. Das heißt keinesfalls, daß die Seuche alle paar Jahre durch die Ställe zieht. Ich habe mit Russlanddeutschen aus Kasachstan gesprochen, die über 50 Jahre in der Viehhaltung der Kolchosen und der privaten Landwirtschaft gearbeitet haben. Sie erinnern sich an höchstens einen Seuchenzug. Die Kühe starben nicht. Bei den Kälbern starben, wenn man sich mit ihnen Mühe gab, höchstens 10 Prozent. Bei der Vorstellung, daß wir in Europa Millionen Tiere ausrotten, verbreitet sich schweigendes Entsetzen.

Vom Impfen zur Eradication

Seit 1966 wurden die Rinder jährlich im Winter geimpft. Das war ein mühseliges Geschäft für die Tierärzte. Doch durch das Impfen wurde die Seuche fast vollständig zurückgedrängt. Nur so konnte die Illusion der Seuchenfreiheit entstehen. Vergessen wurde die alte Weisheit: „Wer gegen Seuchen impft, muss mit der Seuche leben." Statt dieser ständigen Impfvorsorge tritt 1992 ein neuer Begriff von Gesundheit auf den Plan. Gesund gilt das Tier, das frei von MKS Viren ist, und nicht mehr das, das sich gegen die Seuche wehren kann. Das Impfen wird jetzt verboten, erkrankte oder verdächtige Tiere müssen getötet werden. Paragraf 14 (2) der MKS-Verordnung ordnet Massentötung, Verbrennen, Desinfizieren als die neue Therapie an. Impfen wird seither nur noch als Ausnahme und zur Eindämmung einer schon ausgebrochenen Seuche erlaubt. In der aktuellen Debatte wird der Begriff „Ringimpfung" häufig als Ausweg benannt. Das hört sich gut an, trägt aber eher zur Verwirrung bei. Um den vermuteten Infektionsherd wird (je nach Windrichtung) ein Ring von mehreren Kilometern gelegt, in dem von außen nach innen geimpft wird. Die geimpften Tiere müssen ebenfalls getötet werden. Begründung: Die Seuche gilt erst dann als erloschen, wenn das angesteckte oder verdächtige Tier tot und unschädlich beseitigt (verbrannt) ist (§ 14 MKS Verordnung). Ringimpfung ist notwendig wegen den begrenzten Kapazitäten der Tierkörper-Beseitigungs-Anlagen. Die Anlieferung „unschädlich zu beseitigender Tiere" kann so entzerrt werden. Ring-Impfen ist Teil der Ausrottungslogik. Diese neue Seuchenbekämpfung ist tierverachtend - aber auch ökonomisch stimmt die Rechnung nicht. Neueste Schätzungen in Großbritannien nennen einen wirtschaftlichen Schaden von 28 Milliarden Mark durch das Ausrotten. Die britische Tourismusbranche rechnet mit Verlusten von wöchentlich 780 Millionen Mark. Damit steht der wirtschaftliche Schaden der Seuche in keinem Verhältnis mehr zu möglichen Gewinnen durch den Vieh- und Fleischexport. Allein in Deutschland veranschlagen die Versicherungsgesellschaften einen möglichen Schaden durch MKS von zwei Milliarden Mark. Den wollen sie offensichtlich nicht tragen. Aus der Versicherungswirtschaft verlautet: „Der Markt für Versicherungen stößt gegenwärtig an Grenzen." Nicht weil die Bauern sich nicht versichern wollen. Sondern weil die Versicherungsgesellschaften damit kein Geschäft mehr machen können. Zahlen sollen die Bauern und die zum Teil durch den Steuerzahler finanzierten Tierseuchenkassen. Ein entsetzliches Beispiel für die Pleite der EU-Strategie ist die Schweinepest (hervorgerufen durch ein nicht annähernd so leicht übertragbares Virus). Für die Tötung und Entsorgung der Tiere wurden allein in Deutschland zwischen 1993 und 1996 1,3 Milliarden Mark ausgegeben. Das Impfen hätte nur 50 Millionen Mark gekostet.

MKS und Weltmarkt

In den Erklärungen des Ministeriums Künast steht der drohende Verlust von Exportmärkten immer noch an erster Stelle. Das klingt unbegreiflich, wenn man die zu erwartenden Exportgewinne mit den Kosten der Ausrottung in Beziehung setzt. Können die nicht rechnen oder gibt es andere Gründe? Meine These: Ein humaner Umgang mit der MKS liegt quer zur ganzen Richtung der Weltmarktorientierung für Landwirtschaftsprodukte, die von der EU seit den 80er Jahren eingeschlagen wurde. Anfangs kaum bemerkt, entwickelte sich die EU zum zweitgrößten Exporteur von Agrarprodukten. Während die Öffentlichkeit immer noch glaubt, daß wir Industrieprodukte ausführen und Agrarprodukte einführen, begann die EU den USA bei wesentlichen Agrarmärkten den ersten Platz abzunehmen. Die Agarreformen seit 1992, der Streit mit den USA in den WTO- Verhandlungen werden erst so verständlich. Die Agrarpreise der EU sollten schrittweise auf Weltmarktpreise abgesenkt werden, um den USA keinen Vorwand für den Vorwurf zu geben, daß wir Dumping mit heruntersubventionierten Exportprodukten betreiben. Die MKS macht den Welthandel mit Nahrungsmitteln fragwürdig. Für die international agierende Agrarindustrie sind Impfen, Entfernungsbeschränkungen bei Tiertransporten, regionale Handelsbeziehungen nichts anderes als Handelshemmnisse. Und Handelshemmnisse müssen aufgehoben werden. Auch darum der hartnäckige Widerstand der Ministerialbürokratie und der EU-Kommission gegen das Impfen.

Wer soll die Arbeit der Bauern noch machen?

Viele Bauern, die in das Vernichtungswerk einer Seuche geraten, geben die Höfe auf. Das war so bei der Schweinepest. Das ist jetzt ebenso in England, wo die Farmer eingesperrt auf ihren Höfen sitzen - zusammen mit ihren getöteten und seit Tagen verwesenden Tieren. Wer soll so einen Job noch machen? Das Töten und Verbrennen ihrer Tiere ist für die Bauernfamilien eine psychische Katastrophe. Karin Jürgens untersuchte nach der Schweinepest die Folgen der traumatisierenden Erfahrungen: Empfindungen wie innere Leere, Handlungsohnmacht und anhaltende Trauergefühle, Übererregung, Schlaflosigkeit, Albträume, Angstzustände, Depressionen und Selbstmordgedanken (Kritischer Agrarbericht, 2000). In England sind die Zeitungen voll mit Berichten über Selbstmorde der Farmer. Die „Eradication" stößt die Bauern aus der Gesellschaft aus. Sie werden über den äußersten Rand der Gesellschaft hinaus gedrängt, an dem traditionell der Abdecker stand. Der machte wenigstens noch Seife aus den Abfällen.

Töten im Schichtdienst, unter Polizeischutz

Eine schwache Ahnung über die Zustände beim Ausrotten kann man in Mücheln, Sachsen-Anhalt bekommen. Im Januar wurden dort 1000 Rinder getötet, weil ein Rind BSE hatte. Zwangsverpflichtete Amtstierärzte mussten töten, mit der Giftspritze. Im Schichtdienst an zwei Wochenenden, unter Polizeischutz. Vor dem Schlachthof demonstrierten aufgebrachte Menschen, schrien „Mörder, Mörder", warfen Steine in die Fenster. Ein Demonstrant brüllt: „Ihr seid wie die, die auch die Juden vergast haben." In einem Zeitungsbericht ist zu lesen: „Die Ärzte haben Angst: vor den Demonstranten, den Medien, vor ihrer Schuld." Damit sie die Arbeit durchstanden, musste die Pastorin seelischen Beistand leisten. Während der Arbeit und noch Wochen danach. Es braucht viele Menschen, damit so eine Aktion funktioniert. Das geht gar nicht ohne das Technische Hilfswerk, die Feuerwehr. Die sind oft durch enge Bande mit der Landwirtschaft verbunden. Sie werden kaum gegen die Interessen der Bauern die nötigen organisatorischen Arbeiten machen. Auch die Schlachter, selbst die Schlachthöfe zögern, wenn sie Teil einer Entsorgungskette werden sollen. Das zeigt der schleppende Angebotseingang bei der Ausschreibung für das EU-Rinderaufkaufsprogramm. Schon bei der Schweinepest kam es zu massiven Protestaktionen der Bauern. Jetzt geht es um Milchkühe, zu denen die Bauernfamilien eine viel engere Beziehung haben, als zu Schweinen. Die Zucht ihrer Kuhherde ist ihr Lebenswerk. Der Politiker, der die Ausrottung anordnet, wird jeden Kredit bei den Bauern verlieren. Nicht mit der Katastrophe Politik machen Die MKS ist nicht nur die Katastrophe der alten Agrarpolitik, sondern auch die Bewährungsprobe der neuen. Wenn die Katastrophe nicht verhindert wird, kann statt einer neuen Agrarpolitik etwas ganz anderes entstehen: Sachzwänge ohne Ende, Katastrophen-Management, Verrohung der Menschen. An der Schweinepest kann man lernen, daß aus Katastrophen nichts zu lernen ist. Die Katastrophe hätte verhindert werden müssen. Doch 1,2 Millionen Schweine wurden ausgerottet, ungezählte Bauernfamilien gingen kaputt. Kein Lerneffekt, sondern eher das Gegenteil war die Folge: man gewöhnte sich an die Verdrängung des Schreckens, man gewöhnte sich daran, daß Tiere Sondermüll sind. Ich erinnere mich an eine TV-Szene, bei der sich Berge von toten Schweinen auf einem Bauernhof türmten, Leute in Desinfektions-Overalls dazwischen herumkletterten und ein Radlader die Tiere auf LKWs abkippte. Wie gelähmt sah ich zu und war erfolgreich beim Verdrängen. Die Bauern protestierten, blockierten Autobahnen. Ich erinnere mich nicht an eine größere Rührung bei Naturschutz- und Tierschutzverbänden. Niemand kam den Bauern entgegen - obwohl sich eine Grundlage unserer Kultur zu zersetzen begann. Die Schweinemäster forderten damals das Impfen. Und ebenso genau erinnere ich mich an eine Begründung, die damals im alternativen Lager hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wurde: Wenn wir diese industriellen Mäster impfen lassen, dann machen die doch weiter wie bisher! Geübt im Beschwören der zukünftigen Katastrophe, schwiegen viele im Angesicht der tatsächlichen. Die Ausrottung wurde billigend in Kauf genommen, weil man sich einen agrarpolitischen Erfolg versprach. Ist dies eine Erklärung für das weit verbreitete Schweigen auch heute? Die Katastrophe als Schubkraft für die Agrarwende? Der „politische Erfolg" der Schweinepest war gleich null. Die kleinen Bauern gaben traumatisiert auf. Die übrig bleibenden Mastbetriebe wurden größer. Katastrophen sind Katastrophen und keine Chance. Wie in der alten Tragödie ist die Katastrophe die Wendung zum Schlimmen, zum Untergang der handelnden Personen.

Lernen wenigstens die Zuschauer der Tragödie etwas?

Die „Verbraucher an der Ladentheke" begannen, durch BSE sensibilisiert, vermehrt Pute zu kaufen. Die Putenmäster erlebten einen wunderbaren Aufstieg. So wurde das Rind, das auf der Weide steht, abgelöst von der gedopten Pute, die vor lauter Fleischmasse nicht mehr stehen kann. Schon vor der Katastrophe muss etwas getan werden. Vielleicht ist es dazu wichtig zu wissen, daß die Landwirtschaft nicht ein einziger widerspruchsfreier Landkreis Vechta-Cloppenburg voller industrieller Mäster ist. Oft wird übersehen, daß große Teil der Landwirtschaft ein vielfältiges und widersprüchliches Bild abgeben. In den unterschiedlichsten Wirtschaftsstilen wird viel Neues ausprobiert. Nicht nur im Ökolandbau. Es gibt eine Landwirtschaft, in der die Agrarwende längst angefangen hat. Die Landwirtschaft muss also nicht in Berlin oder von der Wissenschaft neu erfunden werden. Was die Bauern von Berlin erwarten ist Ermutigung, Abschaffung all der Hemmnisse die der Direktvermarktung, Weiterverarbeitung auf den Höfen, regionaler Vermarktungsstrukturen im Wege stehen. Regelungen werden gebraucht, die verantwortliches Wirtschaften möglich machen. Wenn die „Agrarwende" gelingt, dann wird sie schwieriger gewesen sein als die „Atomwende", einen längeren Atem verlangen. Nicht nur eine landwirtschaftliche Produktionsweise ist umzustellen, sondern die Konsumgewohnheiten von uns allen. Da gibt es kein Zauberwort. Eher ein mühsames Handgemenge, mit Vor und Zurück. Das ist eine Strategie, die Bauern verstehen. Dafür muss man entscheidende Teile der Bauern gewinnen. Eines der dazu nötigen Zeichen ist, daß wir ihre Tiere nicht ausrotten.

Mehr Handlungsmöglichkeiten sind nötig statt nur einer tödlichen Keule

Durch die Rigidität der EU-Seuchenpolitik ist jeder Handlungsspielraum aufgehoben. Politik und Verwaltung exekutieren eine Verordnung. Und zwar überkorrekt. Es ist förmlich zu spüren, wie die Furcht vor Fehlern das Handeln bestimmt. Wem man künftig anlasten kann, daß er schuld sei am Ausbruch der Seuche - der ist seinen Posten los. Dieser lähmende Irrsinn wird vollends komplett, wenn man weiß, daß die Seuche die Menschen nicht befällt, daß die pasteurisierte Milch und das Fleisch erkrankter Tiere verzehrt werden kann. Wenn es nicht tiefgefroren, sondern nur zwei Tage abgehängt wird, ist das Fleisch frei von Viren und könnte gehandelt werden. In der Regel überleben Kühe die Seuche, erwerben Immunität durch das „Durchseuchen". Sie können, müssen aber nicht weiterhin Viren ausscheiden. Sie können, müssen aber nicht von bakteriellen Folgekrankheiten befallen werden. Im Vergleich zur generellen Ausrottung der Tiere eröffnet das eine Vielfalt von Alternativen. Das Problem ist, daß diese Alternativen nicht praktisch erprobt werden können. Zur Tötung gibt es bei der jetzigen Rechtslage keinen Ermessensspielraum. Jeder Bauer oder Tierarzt wäre erledigt, der einen Heilungsversuch unternimmt. In der Sprache der Seuchenpolizei, die jetzt das Regiment übernimmt: Ein Heilungsversuch wäre der strafbare Versuch, die Seuche zu kaschieren. Diese EU-Strategie muss auch darum revidiert werden, weil die Ausrottung der Tiere gerade die Bauern trifft, die für die Agrarwende gebraucht werden. Wie verzweifelt die Bauern sind, zeigt etwa eine Presseerklärung des alternativen Bauernverbandes ABL aus Nordrhein-Westfalen: „Die Ausrottung unserer Tierbestände ist für uns nicht nur wirtschaftlich eine Katastrophe. Sie vernichtet unsere züchterische Arbeit von Jahrzehnten und raubt uns den Mut und die Freude, weiterhin Bauern zu sein. Die Bilder von brennenden Tierbergen geht uns an den Nerv unseres Selbstverständnisses . . . Wenn es bei uns zu solchen Bildern kommt, dann (werden) viele die Brocken hinwerfen, und zwar gerade die, die noch ein gutes Verhältnis zu ihren Tieren haben." Frau Künast bewies viel Einsicht, als sie sagte, sie wolle alles tun, damit sich die Krise nicht in eine Katastrophe verwandelt. Das könnte heute heißen: Weil eine neue Agrarpolitik auf sensibilisierte Verbraucher setzt, darf sie nicht durch die Ausrottung der Tiere zur Verrohung der Menschen beitragen. Wir müssen neu nachdenken über den Umgang mit den Seuchen. Die Illusion der Seuchenfreiheit werden wir verabschieden müssen. Seuchen bleiben eine beständige Gefahr. Vorsorge und nicht Ausrottung ist notwendig. Das wird auch deshalb nötig sein, weil die Osterweiterung der EU mit der jetzigen Seuchenstrategie unvereinbar ist. Die Vermehrung des Personen- und Warenverkehrs mit Osteuropa und Asien erfordert flexiblere Abwehrmaßnahmen gegen Seuchen.

Einige praktische Konsequenzen

Impfen geht nicht wegen der Exportinteressen, sagt die Agrarbürokratie im Verbraucherministerium. Doch die Bauern wollen das Impfen. Wer ist dann eigentlich für den Export? So einfache Fragen gibt es nur selten in der Geschichte. In solchen Momenten reicht es nicht mehr aus nur einen Konflikt zu managen. Die rot-grüne Agrarpolitik wird sich entscheiden müssen. Wenn sie die Tiere der Bauern verteidigt, so wird sie die Öffentlichkeit und die Mehrheit der Bauern und große Teile des Bauernverbandes, ja selbst einzelne Vertreter der Union und FDP hinter sich haben. Nur mit solchen Mehrheiten kann Rot-Grün die massiven Interessen der exportorientierten Agrarindustrie zurückdrängen und erste Schritte zu einer notwendigen Agrarwende einschlagen. Nötig ist:

• Die EU-Verordnung mit der tödlichen Keule als einzigem Instrument muss aufgehoben werden.

• Moratorium. Bis zur Aufhebung der EU-Verordnung muss ein Moratorium beschlossen werden, um nach Auswegen aus der Sackgasse suchen und die Tierbestände retten zu können.

• Im niemals zu vermeidenden akuten Fall muss genau abgewogen werden, ob wieder regelmäßig geimpft und/oder in Einzelfällen kontrolliert „durchgeseucht" wird. Genügend Impfstoff ist vorhanden, auch für den jetzt sich ausbreitenden asiatischen Virustyp.

• Vermarktungswege für geimpfte Tiere müssen geschaffen werden. Allerdings: Das Impfen ist kein Wundermittel, das alle Fehler einer industrialisierten Tierhaltung kuriert. Die Haltungsbedingungen der Tiere müssen so verbessert werden, daß der Krankheitsdruck in den Ställen abnimmt und die Widerstandskraft der Tiere wächst.

Götz Schmidt/ Uni Kassel

InfoBox: Aus der MKS-Verordnung 1992

Impfungen gegen Maul- und Klauenseuche sowie Heilversuche an seuchenkranken und verdächtigen Tieren sind verboten. (§ 2) Die MKS gilt als erloschen, wenn ... alle Klauentiere des Betriebs ... verendet oder getötet und unschädlich beseitigt worden sind, ... die Schadnagerbekämpfung, Reinigung und Desinfektion nach näherer Anweisung des beamteten Tierarztes durchgeführt und von ihm abgenommen worden ist. (§14)


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