Der Schriftsteller Hermann Kant
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Klassenkloppe

Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Hermann Kant

Die Universitätsstadt Greifswald hat nicht viel, auf das sie stolz sein kann. Wie andere kleine Städte hat sie verzweifelt ihre Geschichte durchforstet- wer war wann hier, wurde hier geboren, tat hier Großartiges. Viel wurde nicht gefunden, aber auch das Wenige kann vor Namenlosigkeit retten. Etwa hatten die Schriftsteller Sibylla Schwarz, Hans Fallada und Wolfgang Koeppen durch einigermaßen ungünstiges Geschick das spärliche Licht der Stadt erblickt, in der sie dann meist unfreiwillig einige Zeit zubrachten. Koeppen verließ das Nest mit 15 Jahren fluchtartig, um nie wiederzukehren. Er erinnerte sich später voller Abscheu in einem seiner Bücher an seine Geburtsstadt. Das half ihm nichts, noch kurz vor seinem Tod 1996 wurde er eingefangen und im Triumph zurückgebracht. 1986 erhielt er den Preis der Pommerschen Landsmannschaft, 1990 wurde er Ehrendoktor der Greifswalder Universität und 1994 Ehrenbürger der Stadt. Eine Wolfgang- Koeppen- Gesellschaft wurde gegründet, ein Koeppen- Preis gestiftet, das Koeppen- Haus in der Bahnhofstraße mit einer großartigen Aktion vor dem Verfall gerettet. Jährlich finden Kolloquien, die Koeppen- Nacht und Lesungen statt. So auch in diesem Jahr zu seinem 95. Geburtstag im Juni. Man muß schon viel Trotz aufbieten, um Koeppen und seinen ambitionierten Germanisten zu entkommen. Bis vor zwölf Jahren mochte sich Greifswald noch eines anderen bedeutenden Schriftstellers rühmen. Dieser war nicht durch Zufall, sondern mit Absicht hergekommen. Er hat die Stadt und ihre Universität in einem der schönsten Romane der deutschen Gegenwartsliteratur gepriesen. Er ist seit 1980 Ehrendoktor der Universität. Er hatte auch im Juni Geburtstag. Und das Beste ist, er lebt. Aber es gibt keine Hermann- Kant- Gesellschaft, keine Kant- Nacht, keinen Kant-Preis, keine Bücher von ihm in den Seminaren der Greifswalder Germanistik und in den letzten Jahren auch keine Lesungen. Der 1926 in Hamburg als Sohn von Arbeitern geborene Schriftsteller gehört der Generation an, die ihre Jugend im Krieg verlor. Nach einer Ausbildung zum Elektriker wurde er zur Wehrmacht eingezogen, kam in polnische Kriegsgefangenschaft und hatte da reichlich Zeit zum Nachdenken. Das Ergebnis ließ er zuerst Robert Iswall in "Die Aula" aussprechen: "Ich will nicht mehr, daß die Menschen in die Erde kriechen, weil ich komme, und ich will auch nicht mehr in die Erde hineinmüssen, nicht als Soldat und nicht als Gefangener und nicht in einem anderen Land und nicht zu Hause". 1949 erhielt Kant an der Arbeiter- und- Bauern- Fakultät (ABF) in Greifswald die Möglichkeit, das Abitur zu machen. Drei Jahre lang war er dort Student und Dozent. 1952 bis 1956 studierte er Germanistik an der Berliner Humboldt-Universität, wurde anschließend Redakteur der Studentenzeitschrift "tuares". 1962 debütierte er mit den Erzählungen "Ein bißchen Südsee" als freier Autor. 1965 erschien sein erster Roman, "Die Aula" über die Zeit an der Arbeiter- und Bauern- Fakultät, vielleicht der DDR- Roman schlechthin, es folgten "Das Impressum" (1972) und "Der Aufenthalt" (1977), daneben etliche Bände Erzählungen. Von 1978 bis Ende 1989 war Kant Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR und mußte in dieser Eigenschaft viel organisieren, repräsentieren, Reden halten und Hände schütteln und umgekehrt. Deshalb kam er nicht mehr dazu, Romane zu schreiben. Zweimal erhielt er für seine Verdienste den Nationalpreis der DDR und einmal den sowjetischen Orden mit dem schönen Namen "Stern der Völkerfreundschaft". Was er nebenbei über Orden und Ehrenzeichen dachte, steht in dem amüsanten Bändchen "Bronzezeit" (1986). Nach dem Anschluß der DDR taten viele ihrer Schriftsteller einen tiefen Fall ins Nichts. Ihre Bücher wurden verramscht, ihre Verlage verkauft. Im Westen waren sie wenig bekannt, und Übung in freier Marktwirtschaft hatte kaum einer von ihnen. Hermann Kant traf es mit Wucht. Als langjähriger Häuptling und Hüter einer euphemistisch "Verband" genannten Bande renitenter und verzogener Dichter und Denker bekam er jetzt Klassenkloppe. Freunde fielen ab, Bekannte grüßten nicht mehr. Kant war nun an allem schuld, an jedem nicht veröffentlichten oder nicht geschriebenen Buch, er war schuld, wenn die Kollegen keine Westreisen hatten machen dürfen oder wenn sie statt nach Italien nach Westberlin hatten fahren müssen. Der Klassenfeind und seine Gauck- Behörde kloppten kräftig mit. Als IM "Martin" habe Kant die ihm anvertrauten Dichter und Denker nach Strich und Feder verraten, um des Staats Sicherheit Geheimnisse verpfändet, Schicksale geknotet, Herzen gebrochen. Kant protestierte und prozessierte nach Leibeskräften gegen die Behauptungen und Lügen, bekam in den meisten Fällen juristisch recht. Und wenn die, die ihn traten und schnitten, dachten, sie hätten ihn kleingekriegt, hatten sie sich geschnitten. Der Gerupfte ließ sich das Krähen nicht verbieten: "Es gab viele Leute, die erwarteten, daß ich nun das Maul halte. Doch ich wollte die Klappe auftun. Ein Ehrgeiz, der mich in Gang setzt." Seine Gegner hatten ihn wohl nicht richtig gelesen. Seine Lektion hatte Kant nicht an einer Partei-hoch-schule, sondern in den Trümmern der Stadt Warschau gelernt. Dieser "Aufenthalt" prägte sein Leben und sein Gewissen. Was und wer immer zu Resignation und Rückzug rief, Kant hörte nicht darauf. Es waren ja auch eine Familie, Kinder noch zu ernähren, die Wohnverhältnisse wurden eng. Er setzte sich an den Schreibtisch, und schrieb, im düstern Auge keine Träne und vielleicht zähnefletschend, erst "Abspann" (1991), seine Erinnerungen, dann den Roman "Kormoran" (1994), das Buch "Escape" (ein Word- Spiel, 1995), begann wieder einen Roman ("Okarina"), der in Kürze erscheinen soll, schrieb Artikel in der linken Presse und spottfunkelnde Leserbriefe in einem Satz oder in zwei, drei Sätzen, die mehr Gewicht hatten als das ganze Feuilleton. Der einstige DDR- Schriftsteller Gerhard Zwerenz gewann ihn für Podiumsdiskussionen über Krieg und Frieden; damit die Zeit nicht vertan sei, wurde daraus eine Publikation ("Unendliche Wende", 1997). Als über "Abspann" beim "Literarischen Quartett" verhandelt wurde, rissen drei Kritiker das Buch und den Autor in Stücke, sich ereifernd wie wütende Spitze. Nur einer stellte sich ihnen entgegen. Denn niemand konnte dem aus dem Warschauer Ghetto entkommenen Marcel Reich- Ranicki seine Hochachtung für einen ehemaligen deutschen Soldaten ausreden, der im zerstörten Warschau Geschichte verstanden, hier und im folgenden Buße getan und darüber in seinem Roman "Der Aufenthalt" eindrücklich berichtet hatte. Vergessen ist Kant von seinem Publikum nicht. Sein bekanntester Roman "Die Aula" war zeitweise beim Aufbau- Verlag vergriffen. Die Leser lieben, so scheint es, dieses Buch, seine Heiterkeit, seinen Witz, seinen Lebensmut, seine vertrackte Sprache und vermutlich auch seine humanistische Aussage. Als das Greifswalder Bündnis gegen Rechts vor einem Jahr Unterschriften und Spenden zur Unterstützung einer Gruppe junger Leute sammelte, die 1998 gegen den ersten Infostand der NPD in der Stadt protestiert hatten und dafür vor Gericht gestellt wurden, gab Kant, der auch an Antinazi-Demonstrationen in Neustrelitz teilnimmt, zwar nicht seinen strapazierten Namen, aber eine ansehnliche Summe Geldes her. Eine Mitstreiterin des Bündnisses, Jurastudentin aus Hamburg, sah seinen Brief und wollte schier aus dem Häuschen geraten. "Ist der wirklich von Hermann Kant?" Ich sah sie mißtrauisch an. Was konnte eine West- Frau schon von Hermann Kant wissen? Und da erzählte sie- daß sie nach Greifswald gekommen sei, in diese Provinzklitsche, sei doch vor allem dem Roman "Die Aula" zuzuschreiben, den sie begeistert gelesen habe. Und schließlich eine Anekdote. In einer Lateinstunde an der Universität ging es um den Ausspruch eines großen Philosophen: "Cogito ergo sum." Der Name des Autors wurde nicht genannt. Ein Mädchen mir gegenüber murmelte: "Das ist von... Kant?" und sah fragend ihren Nachbarn an. Der Student runzelte die Stirn. Er überlegte einen Moment. Dann korrigierte er mit Nachdruck: "Von Hermann Kant." So lebt der Dichter im Herzen seines Volkes. Man könnte einwenden, daß der Satz von dem französischen Aufklärer René Descartes stammt. Aber irgendwie hatten sie doch recht. Kant denkt, also ist er und er ist, also denkt er, und wer denkt, kriegt Beulen. In diesem Sinn alles Gute zum Geburtstag!

Cristina Fischer

Bücher von Hermann Kant:

Der Aufenthalt. Roman. Aufbau TB, Berlin (1994) Taschenbuch DM 19,90

Die Aula. Roman. Aufbau TB, Berlin (1999) Taschenbuch. DM 19.90

Ein bißchen Südsee. Erzählungen. Aufbau TB, Berlin (1995) DM 12,90

Das Impressum. Roman. Faber u. Faber, Leipzig (1999), gebunden, DM 38,00

Kormoran. Roman. Aufbau TB, Berlin (1997) Taschenbuch DM 15,90

Die Summe. Eine Begebenheit Rütten u. Loening, B. (1990) gebunden, DM 16,80

Unendliche Wende. 2 CDs. (Hermann Kant, Gerhard Zwerenz), Dingsda-Vlg.,Querfurt (1997) CD DM 48,00 (auch als Buch)

Zur Person, Bd.1, Jurek Becker, Daniela Dahn, Walter Jens, Hermann Kant, Helga Königsdorf, Christa Wolf von Günter Gaus. Edition Ost, Berlin (1998) Taschenbuch DM 19,80

Eine Übertretung. Erzählungen. Rütten u. Loening, B. (1990), gebundene Ausgabe DM 9,80

Hermann Kant liest aus 'Die Aula'/'Der dritte Nagel', 2 Audio-CDs von Hermann Kant. Noch nicht erschienen. DM 39,00


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