Mobilisierungsplakat gegen IWF und Weltbank von 1988
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Wenn das Geld ausgeht ...

Zwischen den Welten: die Schuldenkrise in der 1. und der 3. Welt

Im Juli 1999 ließ Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem G7(+1)-Gipfel in Köln verlauten, Schuldenerlass sei „common sense“. Und tatsächlich, in den Straßen der Rheinmetropole hatten sich 35.000 Menschen aus aller Welt versammelt, um gemeinsam für einen Erlass der Schulden der Entwicklungsländer zu demonstrieren. Die Beschlüsse des sog. Weltwirtschaftsgipfel, an dem jedoch trotz dieses ambitionierten Titels nur die 7 wirtschaftlich stärksten Länder und Russland teilnahmen, lassen an der Aussage des Kanzlers Zweifel aufkommen. Der folgende Text soll ein kleiner Wegweiser für das komplexe Feld der Verschuldung des Südens sein, ein Anstoß für Diskussion und Engagement.

Das Standardnachschlagewerk für Daten über die Verschuldung der Entwicklungsländer ist der Global Development Finance (GDF) der Weltbank, dessen neuste Auflage vor kurzem erschien (GDF 2000). In dem schwer verständlichen Zahlenwust lassen sich einige Trends herauskristallisieren, die im folgenden an Hand einiger Schuldenindikatoren kurz analysiert werden sollen (siehe Tabelle 1). Die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer ist in den letzten Jahren beständig gestiegen, von 1992 bis 1998 von 1.621,5 auf 2.536,0 Mrd. US-Dollar um 73,7 %. Die Beschleunigung von 1997 auf 1998 ist auf die Asienkrise zurückzuführen, in der die Ökonomien der sog. Tigerstaaten, aber auch (und gerade) der von ihnen wirtschaftlich abhängigen Länder in Mitleidenschaft gezogen wurden. Auch die beiden wichtigen Schuldenindikatoren, Schuldendienstquote (das Verhältnis von Schuldendienst (Zinszahlung + Tilgung) zu den Erlösen aus dem Export von Gütern und Dienstleistungen) und Verschuldungsquote (das Verhältnis von Gesamtschulden zum BSP) sind in diesem Zeitraum wieder deutlich gestiegen. Der Rückgang des BSP 1998 steht ebenfalls im Zusammenhang mit der Krise in Ostasien.

Die ärmsten Länder

Diese Zahlen für alle Entwicklungsländer zusammen geben nur einen groben Überblick, da die verschiedensten Schuldner hier nicht weiter differenziert betrachtet werden. Um dies zu gewährleisten, werden die beiden Kategorien SILIC und SIMIC verwendet: Die SILIC (Severely Indebted Low Income Countries) sind die Gruppe der hochverschuldeten Länder mit niedrigem Einkommen, die folgendermaßen definiert werden:

* BSP pro Kopf weniger als 760 US-Dollar

* Gegenwartswert von Schuldendienst zu Exporten höher als 220 Prozent, oder

* Gegenwartswert von Schuldendienst zu BSP höher als 80 Prozent.

Zu ihnen gehören z.B. Angola, Burkina Faso, Burundi und Kamerun (GDF 2000, S. 101).

Die SIMIC (Serverely Indebted Middle Income Countries) sind hochverschuldete Länder mittleren Einkommens:

* BSP pro Kopf zwischen 761 und 9360 US-Dollar

* Gegenwartswert von Schuldendienst zu Exporten höher als 220 Prozent, oder

* Gegenwartswert von Schuldendienst zu BSP höher als 80 Prozent.

Zu den SIMIC gehören z.B. Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Ecuador und Guyana (GDF 2000, S. 101). Wie Tabelle 2 zeigt, hat sich die Situation der SILICS durch die Asienkrise ab 1998 deutlich verschärft. Das zusammenaddierte BSP der 31 Länder sank um etwa ein Drittel von 364,4 auf 242,4 Mrd. US-Dollar. Die Direktinvestitionen, die als wichtiger Kapitalfluss vom Norden in den Süden gelten, sanken gar von 1997 bis 1998 um mehr als die Hälfte auf 4,2 Mrd. US-Dollar. Parallel dazu stieg der Schuldenberg, trotz einiger Umschuldungen und Schuldenstreichungen zwischen 1995 und 1997 erneut an. Und auch die wichtigsten Indikatoren und Schuldendienstquote oder die Verschuldungsquote stiegen 1998 wieder an. Der hohe und beständig steigende Anteil multilateraler Schulden an den Gesamtschulden der hochverschuldeten Länder verweist auf die immer größer werdende Abhängigkeit von öffentlichen Gebern. Die privaten Geber ziehen sich aus dem wenig lukrativen Geschäft mit den Ärmsten zurück. Es lässt sich erkennen, dass die Lage der SIMICS etwas entspannter ist als die der SIMICS. Der Rückgang des BSP von 97 zu 98 beträgt nur etwa 3%. Die Direktinvestitionen steigen 1998 sogar weiter an. Jedoch erhöht sich auch bei den Ländern mittleren Einkommens die Schuldenlast und damit der Schuldendienst beständig (Tabelle 3).

Warum Verschuldung? Historische Wurzeln sowie derzeitige Gründe für die Verschuldung

Nach Ansicht der Autoren des Schuldenreports 1999 von WEED (World, Economy, Ecology and Development; dt. NGO) müssen für die Betrachtung der Ursachen von Schuldenkrisen zwei Ebenen sowie zwei Blickrichtungen unterschieden werden. Es werden strukturelle Ursachen von spezifischen Weltmarktkonstellationen unterschieden. Das Schuldenverhältnis kann darüber hinaus sowohl von Seiten der Gläubiger, also der Angebotsseite, als auch von Seiten der Schuldner, der Nachfrageseite, betrachtet werden. Grundvoraussetzung für die Vergabe eines Kredites ist sog. überschüssiges Kapital. Dieser Begriff ist eigentlich missverständlich, denn es wäre falsch zu sagen, dass solches Kapital brach läge, würde es nicht für die Kreditvergabe verwendet. Es ist also Kapital, dass auf Grund höherer Renditeerwartungen im Kreditmarkt nicht in andere Bereiche fließt. Nach dem großen Wirtschaftsaufschwung in den 50ern und 60ern und der darauf folgenden Sättigung der nördlichen Märkte, suchte das akkumulierte „überschüssige“ Kapital Ausweichstrategien. Die Investitionen in die Produktion für den eigenen Markt erwirtschaftete nicht mehr die erwarteten Renditen, so dass man verstärkt für andere noch nicht gesättigte Märkte produzierte, also den Export zu steigern versuchte. Eine andere interessante Anlagemöglichkeit wurde in der Kreditvergabe gesehen, vermutlich verstärkten sich beide Strategien gegenseitig. Es wurde in dieser Zeit von den nördlichen Banken eine aktive bis teilweise sogar aggressive Kreditvergabepolitik praktiziert. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Revision des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse, und der damit in die Wege geleiteten Deregulierung und Liberalisierung der Weltwirtschaft. In den 70ern wurde das “überschüssige Kapital” durch die sog. Petro-Dollars, den großen Gewinnen aus der Erdölverteuerung der OPEC-Länder, die auf den Banken der Industrieländer landeten, vergrößert. Auch gab es zu dieser Zeit noch einen starken “Entwicklungsoptimismus”, der sich in der Formel “Growth cum debt” (Wachstum mit Schulden) ausdrückte, so dass viele öffentliche Kredite vergeben wurden. Durch diesen beständigen Kapitalfluss konnten in vielen Entwicklungsländern strukturelle Deformationen im Wirtschaftssektor aber auch in anderen Feldern der Politik, die nicht selten ihre Wurzeln in der Kolonialzeit hatten, konserviert sowie überfällige Reformen verhindert werden. Erst als sich die Konstellationen auf dem Weltmarkt, dessen Spielregeln ja bekanntermaßen vom Norden diktiert sind, veränderten, traten diese Schwächen offen zu Tage. Als die Rohstoffpreise verfielen, sich also die Handelsbedingungen für die Entwicklungsländer verschlechterten, und gleichzeitig die Zinsen durch die Reagan´sche Hochzinspolitik im Zuge der Aufrüstung stiegen, kam es zu Zahlungsdefiziten und schließlich 1982 zur Krise, als Mexiko offiziell bekannt machte, dass es seine Schulden nicht mehr bedienen könne, und andere Länder diesem Beispiel folgten. Die neuere Schuldenkrise in Asien wird mit einem ähnlichen Überangebot von Krediten interpretiert, deren Quelle unter anderem die amerikanischen Rentenfonds sind. Aber auch aus der Nachfragesicht lassen sich neben dem schon erwähnten Ausbleiben von wichtigen Wirtschaftsreformen Ursachen erkennen. So wurden viele Kredite nicht in produktive Sektoren investiert sondern in Militär- und Repressionsapparate oder dienten der privaten Bereicherung der Führungseliten, die Kredite auf ihre eigenen Konten im Ausland transferierten und somit erneut in den Verwertungsprozess einfließen ließen. Jedoch muss in diesem Zusammenhang auch gesehen werden, dass Diktatoren und Despoten nicht selten von der westlichen Welt, insbesondere der USA, Rückendeckung bekamen, und Befreiungsbewegungen gegen derartige Machthaber zu verhindert versucht wurden, wie etwa gegen Somoza in Nicaragua, durch die massive us-amerikanische Unterstützung der Contras. Außerdem stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob nicht auch der Gläubiger eines Kredites eine Mitverantwortung für die Verwendung der Gelder trägt. Aber natürlich gibt es auch institutionelle Strukturen, die zur Verschuldung vieler Länder führten und führen. Zu nennen sind hier vor allem die Exportversicherungen, in Deutschland die Hermes-Exportversicherung, deren Funktionsweise in Box 1 dargestellt ist. Durch die Exportversicherung kann aus dem Schuldnerverhältnis zwischen zwei privaten Unternehmen eines zwischen zwei Ländern werden. Die Asienkrise hat auch ein weiteres Phänomen, das zu staatlicher Verschuldung führt, deutlich werden lassen, das sogenannte Bail-out von Banken: So erpressten Banken, indem sie Umschuldungen verweigerten, z.B. den Südkoreanischen Staat solange, bis dieser die Rückzahlungen ihrer gesamten Forderungen garantierte. Die privaten Schulden wurden somit sozialisiert, verstaatlicht. Die Banken wurden aus ihrer Verantwortung, die sie auf Grund ihrer leichtsinnigen Kreditvergabepraxis mit trugen, entlassen.

Systemgerechte Verarbeitung der Verschuldungskrise: Umgang der Global Players mit dem Problem

Neben der 1996 ins Leben gerufenen HIPC-Initiative (siehe unten), die von sich selbst den Anspruch hegt, die erste umfassende Schuldeninitiative zu sein, lassen sich einige Strategien ausmachen, wie mit dem Verschuldungsproblem umgegangen wird: Case to case Prinzip Die Gläubiger treten stets in geschlossener Formation auf (G7, Pariser oder Londoner Klub; siehe Box 2), bestehen aber darauf, mit den Schuldnerländer von Fall zu Fall zu verhandeln. Dies verhindert ein Zustandekommen globaler Verhandlungen über die Schuldenproblematik und somit eine kollektive Strategie des Südens, quasi als Gegenpol zur kollektiven neoliberalen Strategie des Nordens.

SWAPS

Debt-Equity-Swaps sind Umwandlungen von Auslandskrediten in Inlandsbeteiligungen. Der ursprüngliche Gläubiger oder Inhaber des Schuldtitels, der diese mit einem Abschlag auf dem Sekundärmarkt erworben hat, verkauft seine Forderungen an das Schuldnerland und erhält im Austausch zum Nennwert des Schuldtitels einheimische Währung zum offiziellen Wechselkurs. Damit erwirbt der Investor einheimische Beteiligungen, z.B. im Rahmen staatlicher Privatisierungsprogramme. Die Gläubiger haben den Vorteil, dass sie die verbilligten Kreditforderungen in Höhe des Nennwerts verwenden können, während das Schuldnerland eine Verringerung seiner Auslandsschulden erreicht. Für die Schuldnerländer sind diese Swaps nur interessant, wenn es ihnen an Devisen mangelt, sonst könnten sie die eigenen Schulden auf dem Sekundärmarkt kaufen (debt-buy-back). Die Debt-Equity-Swaps sind in quantitativer Hinsicht das gewichtigste der Swap-Geschäfte. Besonders transnationale Konzerne greifen auf dieses neue Angebot der Banken immer häufiger gerade im Zusammenhang der Privatisierung staatlicher Unternehmen zurück. Sonderformen sind Debt-for-Nature sowie die übrigen Swaps (Debt-to-Development, Debt-to-Health, Debt-for-Child-Development-Swaps), die den Gegenwert der Schulden zweckgebunden für Naturschutz oder sonstige Ziele zur Verfügung stellen.

Fehlendes internationales Insolvenzrecht

Im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners gibt es in Deutschland das sog. Insolvenzrecht. Es kommt zum Tragen, wenn ein Privathaushalt den Offenbarungseid geleistet oder ein Unternehmen bankrott gemacht hat. Sein Grundgedanke besteht darin, beide Parteien an der Lösung des Schuldenproblems zu beteiligen. Dem Schuldner wird ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert, die nach sieben Jahren noch verbliebene Restschuld wird erlassen. Der Gläubiger muss nach dieser Zeit möglicherweise Abstriche an seinen Forderungen machen. Geschichtlich betrachtet muss die Schaffung des Insolvenzrechts als zivilisatorischer Fortschritt gewertet werden, die nahezu uneingeschränkte Machtposition der Gläubiger wurde gezügelt, und damit die Schuldner vor einer oft lebenslangen Leibeigenschaft bewahrt. Das Insolvenzrecht dient nicht nur dem Schuldner sondern auch dem Gläubiger. Bevor sich das Schuldnerverhältnis in einer spiralartigen Eigendynamik verselbständigt, ist es auch für den Gläubiger besser, früh einen Vergleich zu bewirken, da oft langfristig die Schulden nicht mehr einzutreiben sind. Außerdem bewirkt das Insolvenzverfahren bei den Gläubigern eine verstärkte Vorsicht, da es ihnen eine Mitverantwortung zuweist.

Risikominimierung / Steuerentlastungen: Wertberichtigungspraxis deutscher Banken

Wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem Forderungsausfall auszugehen ist, nutzen die privaten Banken die Möglichkeit, eine Wertberichtigung auf die Forderung durchzuführen. Es bedeutet, dass der Wert der Forderung gemindert wird und ist ein Gebot kaufmännischer Vorsicht. Die Steuerschuld der Bank wird gesenkt - die Besteuerung der Unternehmensgewinne damit gestundet. Ein Beispiel: Die Bank A hat einen Kredit über 1.000.000 DM an ein Unternehmen in einem Entwicklungsland vergeben. Nach einiger Zeit entscheidet sie sich dazu, den Kredit um 50 % wertzuberichtigen, buchhalterisch gesehen macht sie das Jahr, in dem sie die Wertberichtigung durchführt einen Verlust von 500.000 DM. Dies bedeutet, dass sie nun 500.000 DM Gewinne aus anderen Bereichen, die eigentlich zu versteuern wären, nicht zu versteuern braucht. Erst wenn der wertberichtigte Kredit bedient wird, muss die Bank die Einnahmen als außerordentliche Einnahmen versteuern, bis dahin hat sie aber vom Deutschen Steuerzahler quasi einen zinslosen Kredit in Höhe der Steuersätze der Erträge auf die Wertberichtigung (normalerweise 60%) bekommen. Wichtig zu bemerken ist, dass, falls es tatsächlich zu einem Schuldenerlass kommt, die frühe Wertberichtigung gerechtfertigt, sogar ökonomisch geboten ist. Zu einem ungerechtfertigtem Vorteil kommt es nur dann, wenn die Bank wertberichtigt haben, aber dennoch die Schulden getilgt bekommt, da es die Erträge aus der Steuerstundung an den deutschen Staat nicht zurückerstatten muss. Von hohen Beamten des Finanzministeriums wurde bestätigt, dass die Höhe der aus dieser Praxis erwachsenden Gewinne sämtliche Forderungen an den Süden bereits übersteigen- genaue Daten werden nicht veröffentlicht- dies ist übrigens auch der Grund warum die privaten Gläubiger einem internationalen Insolvenzrecht offener gegenüberstehen als die öffentlichen Geber, denn ihre Verluste sind meist schon einkalkuliert.

Aktuelle Trends: die HIPC-Initiative und ihre Reform

Die HIPC-Initiative, 1996 von der Weltbank und dem IWF ins Leben gerufen, steht für “Highly Indebted Poor Countries”, also die hochverschuldeten, armen Länder. Es ist eine Entschuldungsinitiative in die alle Kategorien von Schulden- bilaterale, multilaterale und private- einbezogen werden, was eine begrüßenswerte Neuerung im Management der Schulden des Südens ist. Es gibt Stimmen, welche die HIPC-Initiative als Erfolg langjähriger zivilgesellschaftlicher Kritik verstehen, jedoch wird auch häufig darauf verwiesen, dass die Situation der HIPC-Länder derartig hoffnungslos geworden ist, dass eine Entschuldung inzwischen unausweichlich ist. Ausdrückliches Ziel der Initiative ist es, die Schulden der hochverschuldeten, armen Länder auf ein „tragfähiges“ Niveau zu reduzieren. Die Definitionsgewalt von Tragfähigkeit haben die Bretton-Woods-Organisationen (IWF und Weltbank) inne:

Tragfähige Schulden

Das sog. „debt sustainability“-Konzept des IWF und der Weltbank definieren die Tragfähigkeit von Schulden rein ökonomisch. Es muss gegeben sein:

* Eine Schuldenquote (Verhältnis Auslandsschulden zu jährlichen Exporteinnahmen) von unter 150 %

* Eine Schuldendienstquote (Verhältnis jährlicher Schuldendienst zu den jährlichen Exporteinnahmen) von unter 15%

* Verhältnis Auslandsschulden zu den Staatseinnahmen von unter 250 % (dieses dritte Kriterium gilt nur für Schuldnerländer mit hoher Weltmarktintegration (Exporte/ BIP > 20%), die zusätzlich hohe Steueraufbringungsbemühungen (Steuereinnahmen/ BIP > 15%) nachweisen können)

Die Grenzwerte waren durch die Reform der HIPC-Initiative auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln 1999 deutlich gesenkt worden. Dies straft die damalige Argumentation von IWF und Weltbank, dass es sich um „objektive“, sich „historisch“ erwiesene Größen handle, Lügen. Durch die Versuche, Verschuldungsindikatoren für Frühwarnsysteme für drohende Finanzkrisen zu entwickeln, weiß man auch bei IWF und Weltbank seit Anfang der 80er, dass es verallgemeinerbare makroökonomische Grenzen für tragfähige Schulden nicht geben kann (McDonald, 1982:604). Es handelt sich folglich um politische Größen, die Vermutung liegt nahe, dass sie den Wunsch nach möglichst weitgehender Eintreibung der Schulden widerspiegeln. Es gibt alternative Methoden zur Bestimmung von Schuldentragfähigkeit, welche vor allem auch die soziale Dimension von Verschuldung berücksichtigt. Vorgeschlagen werden z.B. insolvenzrechtliche, transparente und faire Verfahren, die Schuldner und Gläubiger an der Findung einer Lösung beteiligen. Diese können aber an dieser Stelle nicht im einzelnen diskutiert werden (siehe dazu Unmüßig, 2000: 24 sowie Raffer, 2000: 62 ff).

HIPC I

Für die erste 1996 ins Leben gerufene HIPC-Initiative waren 41 Länder in die Gruppe der hochverschuldeten armen Länder aufgenommen worden. Es stellte sich aber bald heraus, dass der Prozess, den die Länder zu durchlaufen hatten, um sich überhaupt für einen Schuldenerlass zu qualifizieren, sehr langwierig und bürokratisch war, so dass bis 1999 von 14 geprüften Ländern nur 7 Mrd. US-Dollar für 7 Länder bewilligt- noch nicht vollständig ausgezahlt- wurden (die Auslandsschulden aller HIPC-Länder belaufen sich auf ca. 200 Mrd. Dollar). Unter besonderer Kritik stand die Konditionierung der Bewilligungen. Die Länder hatten, um sich überhaupt zu qualifizieren, sechs Jahre „erfolgreiche“ ESAF-Strukturanpassungsprogramme des IWF nachzuweisen. Maßnahmen im Rahmen des sog. „Washingtoner Konsens“, sprich Handelsliberalisierungen, Reduktion der Staatsausgaben, Liberalisierung des Finanzsystems, stabile Wechselkurspolitik, .... wurden in diesen Programmen, die schon lange als Voraussetzung zur Gewährung von IWF-Krediten fungieren, vorgeschrieben. Viele NGOs haben in zahlreichen Studien nachweisen können, dass ein Großteil der Programme sowohl in ökonomischer als auch –und zwar meist gravierender- in sozialer Hinsicht gescheitert sind: Anstieg der Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne, Verschlechterung der Einkommensverteilung, anhaltende Armut,...(siehe hierzu Falk, 1999: 25 ff.)

HIPC II

Auf dem Kölner Weltwirtschaftgipfel 1999 wurde die HIPC-Initiative reformiert. Das Tempo des gesamten Prozesses solle in Zukunft deutlich angezogen werden. Außerdem sind Erlasse unter HIPC II nicht mehr an ESAF-Strukturanpassungsprogramme gebunden. Statt dessen werden die Länder nun sog. PRSPs, Poverty Reduction Strategy Papers, die in landesweiten Konsultationsprozessen unter Einbindung der Zivilgesellschaft erstellt werden sollen, einreichen. Der für die Auszahlung der Kredite verwendete Geldtopf ESAF, Enhanced Structural Adjustment Facility, wurde kurzerhand in PRGF, Poverty Reduction and Growth Facility, umbenannt. Der finanzielle Spielraum, der aus den Entschuldungen für die Länder erwächst, soll für die Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Eine Beurteilung von HIPC II ist nach eineinhalb Jahren nicht einfach, doch lassen sich schon jetzt einige Probleme und Inkonsistenzen festmachen. Problematisch an den Armuts-Reduktions-Strategie-Papieren ist vor allem- neben vielen noch offenen prozedualen Fragen-, dass sie unter hohem Zeitdruck erstellt werden müssen. Dies läuft dem Anspruch zu wider, dass sie von einer breiten zivilgesellschaftlichen Basis mitgetragen werden sollen. Außerdem sind es nach wie vor der IWF und die Weltbank, welche die Papiere absegnen müssen. Wie sie diese ihnen gewohnte Machtsituation nutzen werden, wird sich in der Zukunft zeigen müssen. Ob HIPC II tatsächlich Mittel frei machen kann für die Armutsbekämpfung wird man an zukünftigen Länderstudien sehen können. Da in einigen Fällen nur Forderungen gestrichen werden sollen, die gar nicht mehr bedient werden, ist Skepsis angebracht. Als großer Erfolg ist in Anschluss an Köln zu werten, dass die G7 und alle anderen wichtigen nördlichen Gläubiger 100-prozentige Schuldenerlasse auf verbleibende Entwicklungshilfeschulden und Handelsforderungen der HIPC-Länder ankündigten.

Forderungen/ Verbesserungsvorschläge

Die Forderungen und Verbesserungsvorschläge, die von vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen vorgebracht werden, sind vielfältig und nicht immer deckungsgleich. In Köln zeigte sich, dass ein gemeinsamer Nenner die Entschuldung sein könne. An wichtigen Details jedoch, etwa der Konditionierung der Entschuldung für Armutsreduzierung, teilten sich die Gemüter. Auch gab es im Zusammenhang der Entschuldungsforderungen nicht immer die Bereitschaft, die strukturellen Ursachen für die heutige Situation zu analysieren und diesbezüglich Reformforderungen vorzubringen, etwa durch Reformen der internationalen Finanzinstitutionen oder der Kontrolle der Kapitalmärkte. Ich möchte mich im folgenden an einen Forderungskatalog aus dem WEED-Schuldenreports 1999 halten:

A) Bilaterale Handlungsspielräume nutzen

Dazu zählen:

* Bilaterale Schuldenerlasse bei Naturkatastrophen

* Für Deutschland die Streichung der Schulden der ehemaligen DDR

* Eine Reform der staatlichen Handelsbürgschaften (Berücksichtigung ökologischer, sozialer und entwicklungspolitisch transparenter Kriterien)

B) Multilaterale Gläubigerpolitik

* Sofortiger und umfassender Erlass der Schulden der HIPC-Länder, z.B. durch eine ehrgeizige Reform der HIPC-Initiative

* Die Strukturanpassungsprogramme grundsätzlich reformieren- Abkehr von rein wirtschaftspolitischen Zielen, hin zu sozial gerechter, ökologisch tragfähiger Entwicklung

* Gleichberechtigte Partnerschaft mit Ländern mittleren Einkommens (z.B. im Rahmen einer internationalen Schuldenkonferenz)

C) Reform internationaler Finanzinstitutionen

* Der IWF sollte sich auf die Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik konzentrieren, seine Finanzierungsfunktion zur Überbrückung kurzfristiger Zahlungsbilanzdefizite sollte von Regionalfonds übernommen werden

* Demokratisierung von IWF und Weltbank; ein Land- eine Stimme, und nicht wie bisher nach Einzahlungsvolumina

* Transparenz gegenüber nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft

D) Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts

Alle betroffenen Parteien sollten in einem transparenten Prozess eine gemeinsame für alle tragbare Lösung von Verschuldungsproblemen finden.

E) Kontrolle der internationalen Finanzmärkte

* Stärkung der internationalen Bankenaufsicht und Unterbindung des Handels mit besonders gefährlichen Derivaten

* Einführung einer Kapitalverkehrssteuer (Tobin-Tax), um Tempo und Umfang von spekulativen Bewegungen auf den Kapitalmärkten einzudämmen

* (Re-)Etablierung nationaler Instrumente zu Kapitalverkehrskontrollen

Literatur:

Falk, Rainer (1999): Die systemgerechte Verarbeitung von Schuldenkrisen, in WEED-Schuldenreport 1999. McDonald, Donogh (1982): Debt Capacity and Developing Country Browsing: A Survey of the Literature, in: IMF Staff-Papers, Vol. 29. Raffer, Kunibert (2000): Internationales Insolvenzrecht – Ausstieg aus dem einseitigen Krisenmanagement? In: WEED Schuldenreport 2000. Unmüßig, Babara (2000): Ein Jahr nach den Kölner HIPC-Beschlüssen- eine kritische Zwischenbilanz, in: WEED Schuldenreport 2000.

Michael Scholze

(der Beitrag ist redaktionell bearbeitet, die vollständige Version befindet sich im internet: www.greifswald-online.de/hp/bartolom/seminar)

 

Box 1: Funktionsweise der Hermes-Bürgschaften anhand eines Beispiels

Ein privates deutsches Unternehmen schließt mit einem Unternehmen in einem Entwicklungsland ein Exportgeschäft ab und lässt es sich über die Hermes-Exportversicherung, einer mit deutschen Steuergeldern finanzierten Institution, versichern. Kann der Abnehmer nicht zahlen, wird das deutsche Unternehmen mit Hermes-Mitteln entschädigt. Die BRD wird damit zum Gläubiger. Da die Versicherungen einher gehen mit einer Staatsgarantie des Entwicklungslandes, wird dieses der Schuldner, wenn das importierende Unternehmen Konkurs anmeldet. Aus den Geschäftsbeziehungen von zwei privaten Unternehmen ist eine Schuldnersituation zwischen zwei Ländern entstanden. Die bilateralen Schulden von Deutschland an Entwicklungsländer, die aus den Hermes-Bürgschaften hervorgehen, belaufen sich 1996 auf 18 Mrd. DM, rund ein Drittel der deutschen bilateralen Kredite. Besondere Brisanz hat die Tatsache, dass diese Schulden zu marktüblichen Konditionen zurückgezahlt werden müssen. Die Exportversicherung fährt jährliche Defizite ein, die sich für den Zeitraum von 1985-1996 auf über 25 Mrd. DM summieren. Somit wird unternehmerisches Risiko sozialisiert. Die Kritik der Hermesbürgschaften richtet sich aber nicht nur auf die Katalysierung von Risikogeschäften, der damit verbundenen staatlichen Verschuldung von Entwicklungsländern und auf die Subvention privater Unternehmen sondern auch auf die Tatsache, dass sozial- und umweltunverträgliche Vorhaben gefördert werden, wie z.B. der Drei-Schluchten-Staudamm in China, für dessen Errichtung 1,3 Mio. Menschen umgesiedelt werden müssen.

 

Box 2: Global Players der Schuldendebatte

G 7: Die Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA, die sich auf den alljährlichen Weltwirtschaftgipfeln treffen, und die größten Gläubiger darstellen.

Weltbank(-gruppe): Setzt sich zusammen aus der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), die Kredite zu marktähnlichen Bedingungen vergibt, und der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA), die Darlehen zu äußerst günstigen Bedingungen (zinslos, 35-40 Jahre Laufzeit) gewährt. 1945 mit dem IWF als Ergebnis einer internationalen Finanz- und Währungskonferenz in Bretton Woods entstanden.

IWF: Internationaler Währungsfond, ursprünglich Ausgleichsfond für Länder mit kurzfristigen Zahlungsbilanzdefiziten. Inzwischen aber Hauptakteur im Management der Schuldenkrise. Unter besonders heftiger Kritik standen bisher seine durch die Vergabe von konditionierten Krediten durchgesetzten Strukturanpassungsprogramme in Ländern des Südens, die zur Zeit reformiert werden. Bildet mit Weltbank die Bretton Woods-Organisationen.

Londoner Club: In diesem organisieren sich die großen, privaten Gläubigerbanken.

Pariser Club: Die größten Gläubigerländer organisieren sich im Pariser Klub.

Tabelle 1: Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer

 
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
BSP
4.490
4.652
5.030
5.733
6.227
6.443
6.012
Gesamtschuldenstand (Mrd. US $)
1.621,5
1.777,5
1.969,0
2.139,5
2.229,4
2.326,5
2.536,0
langfristige Schulden (Mrd. US $)
1.285,9
1.411,2
1.564,4
1.654,0
1.708,5
1.786,4
2.030,3
Schuldendienst langfristig (Mrd. US $)
146,7
153,7
173,5
205,5
244,7
278,2
281
Schuldendienstquote (Prozent)
16,4
16,3
15,9
15,8
16,5
17,2
18,5
Verschuldungsquote (Prozent)

36,1

38,2
39,1
37,3
35,8
36,1
42,2
Anteil konzessionärer Schulden an Gesamtschulden (%)
21,8
21,1
20,4
19,4
18,2
16,1
14,9
Anteil multilateraler Schulden an Gesamtschulden (%)
14,3
14
14
13,6
12,9
12,4
12,9

Tabelle 2: Verschuldungssituation der SILICS

 
1992
1994
1995
1996
1997
1998
BSP (Mrd. US $)
254,9
276,0
315,8
363,1
364,4
242,4
Direktinvestitionen (Mrd. US $)
3,5
5,5
8,0
10,5
9,6
4,2
Ausl. Gesamtschulden (Mrd. US $)
281,0
318,0
340,8
337,0
331,6
350,6
Langfristige Schulden (Mrd. US $)
232,5
263,7
275,7
266,6
251,3
285,5
Schuldendienst langfristig (Mrd. US $)
18,5
19,2
21,3
27,8
25,0
24,4
Anteil kurzfristiger Schulden an Gesamtschulden (%)

11,1

10,5
10,3
10,3
10,6
10,0
Schuldendienstquote (%)
19,1
21,2
24,2
19,2
15,8
17,9
Gesamtschulden zu Exporten (%)
963,0
891,3
776,3
753,2
654,5
775,6
Gesamtschulden zu BSP (%)
171,8
209,5
192,5
163,2
153,5
162,3
Anteil konzessionärer Schulden an Gesamtschulden (%)
57,7
59,9
60,8
62,0
60,5
61,8
Anteil multilateraler Schulden an Gesamtschulden (%)
33,3
36,6
37,5
38,7
38,8
39,6

Tabelle 3: Verschuldungssituation der SIMICS

 
1992
1994
1995
1996
1997
1998
BSP (Mrd. US $)
698,4
894,3
1.066,9
1.150,6
1.201,5
1.159,9
Direktinvestitionen (Mrd. US $)
7,1
10,6
13,3
22,0
31,9
36,4
Ausl. Gesamtschulden (Mrd. US $)
278,8
317,8
354,8
387,2
424,5
476,6
Langfristige Schulden (Mrd. US $)
221,0
255,3
276,5
304,5
333,2
388,5
Schuldendienst langfristig (Mrd. US $)
14,3
23,1
32,0
40,8
64,0
71,7
Anteil kurzfristiger Schulden an Gesamtschulden (%)

14,5

13,5
13,7
13,0
14,4
14,8
Schuldendienstquote (%)
19,7
18,0
20,0
22,9
26,7
28,5
Gesamtschulden zu Exporten (%)
324,6
291,7
275,0
252,6
247,1
282,0
Gesamtschulden zu BSP (%)
151,6
123,2
111,4
97,5
94,9
82,7
Anteil konzessionärer Schulden an Gesamtschulden (%)
26,0
27,5
27,9
28,0
28,0
27,3
Anteil multilateraler Schulden an Gesamtschulden (%)
14,4
16,0
17,4
18,6
18,3
18,6

 

 
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