Wappen der deutschen KFOR-Truppe

Narrenfreiheit für die NATO?

Das Scheitern des Vertrages von Rambouillet und der Beginn des Jugoslawien-Krieges

Eine Reportage des WDR vom 8.2.01, unter dem Titel „Es begann mit einer Lüge", führte zumindest medial zu heftigen Auseinandersetzungen um Fakten, Lügen und Manipulation in Vorbereitung und Durchführung des Luftkrieges gegen Jugoslawien. Fast hatte man geglaubt, das öffentliche Interesse wäre erloschen gewesen, doch die wieder entflammte Diskussion, die sogar zu einer Aktuellen Stunde im Bundestag am16.2.01 führte, zeigt, wie umstritten dieser Natoeinsatz auch heute noch ist. Die Luftschläge begannen nach dem Ablaufen der Frist, die die Nato für die Unterzeichnung des Rambouillet-Vertrages „Vorläufiges Abkommen für Frieden und Selbstverwaltung im Kosovo" gesetzt hat, am 24. März 1999.

24. März 1999

„In diesem Augenblick haben die Luftoperationen der Nato begonnen" (J. Solana) Die Verhandlungen zum Vertragstext endeten am 23. Februar 1999, die Kosovo-Albaner unterzeichneten am 18. März und Belgrad verweigerte die Unterschrift. Bill Clinton vor dem Pressekorps des Weißen Hauses: „ Er (Slobodan Milosevic) hat das ausgewogene und faire Friedensabkommen abgelehnt, das unsere Bündnispartner und Rußland vorigen Monat vorgeschlagen haben - ein Friedensabkommen, welches die Kosovo-Albaner mutig angenommen haben." Im Vertrag wurden „unter Achtung vor der territorialen Integrität und Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien" u.a. die Grundsätze zu bürgerlichen Rechten und Freiheiten, Minderheitenrechten, demokratischer Selbstverwaltung, Wahlrecht und Verfassung im Kosovo sowie vertrauensbildende Maßnahmen (Ende der Gewalt, Entwaffnung paramilitärischer Truppen, Recht auf Rückkehr in die Heimat, Strafverfolgung schwerwiegender Verletzungen des Menschenrechts) ausgearbeitet.

Knackpunkt Annex B

Erst drei Wochen nach Beginn des Bombardements kamen um eben diesen Vertragstext in Deutschland Diskussionen auf. Unter anderem die Grünen-Wehrexpertin Angelika Beer, nunmehr über den vollständigen Rambouillet-Vertrag verfügend, hätte sich nicht mehr für den Beginn der Luftschläge ausgesprochen, was sie in einem Brief an ihre Fraktion schrieb. Gerade die auch im Vorwort zugesicherte territoriale Integrität und Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien wurde dann im Anhang (Annex B) massiv eingeschränkt. Dieser regelt den Status des multinationalen Militärs. Die hier ausgearbeiteten Forderungen waren „aus Sicht Belgrads unakzeptabel" (A. Beer, OZ, 14. 04.1999), was folgender Punkt am deutlichsten illustriert: „8. Das NATO-Personal wird, zusammen mit seinen Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen und Ausrüstungsgegenständen, in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien freien und ungehinderten Zugang genießen, unter Einschluß des Luftraumes und der Territorialgewässer.” Des weiteren sicherte die Nato ihrem Personal u.a. Immunität gegenüber allen Gerichtsverfahren (Zivil-, Verwaltungs- oder Strafverfahren) (6. Punkt Annex B) und „die Benutzung von Flughäfen, Straßen, Schienenwegen und Häfen ohne Zahlung von Gebühren, Zöllen, Wegegeldern..."(11. Punkt Annex B) zu. Auch die kostenlose Nutzung aller Kommunikationskanäle (Rundfunk und Fernsehen) durch die NATO wurde in diesem Anhang gefordert (15. Punkt Annex B). Mag es auch ein nicht ganz passendes Wortspiel sein, aber das Wörterbuch bietet für „annex" neben I s 1. arch Anbau m, 2. Anhang m auch II tr pol annektieren an, was wiederum im Lexikon mit „gewaltsam in Besitz nehmen" übersetzt wird...

Späte Fragen und späte Rechtfertigungen

Mit Bekanntwerden dieser Passagen des Rambouillet - Vertrages (immerhin erst mehrere Wochen nach Beginn der Luftschläge) und dem Vorwurf der Zurückhaltung von Informationen nahm das Auswärtige Amt Stellung. Regelungen, wie im Annex B stünden in allen vergleichbaren Abkommen und wären noch die Maximalforderungen der Nato, da aufgrund der Verweigerungshaltung der serbischen Seite gar nicht darüber verhandelt worden sei und demnach keine Zugeständnisse an die Jugoslawische Seite gemacht werden konnten. Dieses ist eine logische Erklärung. Allerdings kann man fragen, ob die Maximalforderungen der NATO nicht so anmaßend hoch angesetzt worden sind, daß sie mit zur totalen Verweigerung der Jugoslawischen Seite geführt haben könnten oder zumindest sollte man diese Maximalforderungen in ihrem Ausmaß öffentlich diskutieren. Auch der langwierige Weg des vollständigen Vertragstextes an die Öffentlichkeit (nach den Grünen hatte die FDP-Fraktion Klarheit über den gesamten Inhalt des geplanten Friedensabkommens gefordert) und die dann ausgelöste Überraschung bei Politikern deuten einen sehr zähen Informationsfluß an. Vielleicht lag es genau daran, daß bei der unterzeichneten Gesamtfassung eben nicht von „ausgewogenen und fairen Abkommen" (B. Clinton) die Rede sein kann, auch wenn dieses möglicherweise Folge fehlender jugoslawischer Verhandlungsbereitschaft sein konnte.

Das Ende vom Vertrag

Der Artikel II der Schlußbestimmung zeigt die angestrebten Machtverhältnisse, auch wenn dieses wieder nur eine Spitzfindigkeit oder einfach nur das Fehlen von Knigges Erziehung sein kann: „Dieses Abkommen wird in englischer Sprache unterzeichnet. Nach der Unterzeichnung dieses Abkommens werden Übersetzungen ins Serbische, Albanische und andere Sprachen der Volksgruppen im Kosovo angefertigt und dem englischen Text angehängt.” Mit diplomatischem Feingefühl hätte man zur Verständigung der Kriegsparteien alle beteiligten Sprachen schon vor der Unterzeichnung erwartet. Da es jedoch zu keiner Unterzeichnung durch die Belgrader Regierung kam, wurde der Vertrag gegenstandslos und die NATO reagierte mit Luftschlägen.

Alexandra Barthelmes


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