Frauenbilder - letzter Teil der Serie

Frauen in der DDR

In der DDR hatten die Frauen den höchsten Grad ihrer Befreiung in der bisherigen deutschen Geschichte erreicht. Viele Forderungen der Arbeiterbewegung wurden hier umgesetzt, in staatlichen Gesetzen verankert. Das Recht auf Arbeit konnte wahrgenommen werden durch ein breit angelegtes System der Kindererziehung, der Aus- und Weiterbildung, des Mutterschutzes, der gesundheitlichen Betreuung. Sehr schwerfällig und mühsam jedoch gestaltete sich die Umsetzung einer sozialistischen Frauen- und Familienpolitik. Jahrhundertealte Traditionen lebten fort: in der unterschiedlichen Erziehung von Mädchen und Jungen, dem Anspruch an die Mutter als guter Hausfrau, Köchin und im wesentlichen Alleinerzieherin, der Toleranz der Abneigung der Männer gegen Hausarbeit, ihrer im Gegensatz zur Frau als selbstverständlich betrachteten Freiräume außerhalb des Familienlebens usw. Die ökonomischen und sozialen Fortschritte brachten zwar eine allmähliche Veränderung, vordergründig blieb jedoch die Mehrfachbelastung der Frauen durch Vollbeschäftigung, Haushalt und Kindererziehung. Der spürbarste Wandel war in der Akzeptanz der Vollbeschäftigung der Frau und der damit verbundenen gesellschaftlichen Erziehung der Kinder zu verzeichnen. Zur Rabenmutter wurde sie jedoch bereits, wenn eine längerfristige Qualifizierung die Unterbringung der Kinder in Wochenheimen erforderlich machte. Dem Mann konnte die Betreuung meist nicht zugemutet werden. Im umgekehrten Fall war es selbstverständlich, daß die Kinder zu Hause blieben, wenn der Vater ein Studium aufnahm. Gerade auch das Unverständnis seitens verantwortlicher Leiter für die Mehrbelastung der Frauen ließ die Zahl der hochqualifizierten und gesellschaftlich engagierten Frauen relativ gering bleiben. Die Dominanz der Männer in allen wichtigen Postionen blieb. So erwünscht das Mütterjahr von den Frauen selbst war, so muß ich heute feststellen, daß es zur Verdrängung der Frauen in der DDR aus dem gesellschaftlichen Leben beigetragen hat. Das seit dem VIII. Parteitag forcierte Konsumdenken, die mehr als Geschenk der Partei als erkämpfte Rechte propagierten sozialpolitischen Maßnahmen hatten eher eine Verspießbürgerlichung der Bevölkerung zur Folge, bewirkten einen Rückzug ins Familienleben, auf die Datsche, unterstützten das traditionell-bürgerliche Rollenverständnis von Mann und Frau.

Begegnungen zwischen Ost und West

Wie groß bereits der Unterschied zwischen den Frauen der BRD und den Frauen aus der DDR war, machte sich an den gravierenden Kommunikationsproblemen, die sie miteinander nach 1989 hatten, bemerkbar. Erste Eindrücke sind prägend, und wie sich bis heute zeigt, sehr nachhaltig. Die Neugier der Menschen aus dem Osten auf ihr künftiges Leben, die Versprechungen, das Einlösen der jahrzehntelang propagierten Sehnsucht nach den Brüdern und Schwestern ließ viele eine euphorische Haltung einnehmen, die der angstvollen Erwartung der Westdeutschen, was da jetzt in ihr wohlgeordnetes Leben einbrechen und mit welchen Forderungen das kommen könnte, konträr gegenüberstand. Die einen bekamen Begrüßungsgeld und Bananen, die anderen die Überzeugung, daß die Ossis besser da blieben, wo sie herkämen und sich den Wohlfahrtsstaat, den man sich in 40 Jahren geschaffen hätte, selber aufbauten. Man könnte ihnen ja dabei helfen. Und wenn sie sich nicht willig erwiesen, könnte man es auch wieder lassen. In zahlreichen Büchern und Filmen wird ein einseitiger plumper Annäherungsprozeß geschildert. Die hinterwäldlerische Ostfrau schämt sich ihrer Kleidung, weiß nicht, wie man Austern verzehrt, ziert sich vor den Offenbarungen der Beate Uhse, wirkt noch drall und gesund ohne Verjüngungs- und Schlankheitskuren. Sie genießt jetzt die Reisefreiheit in unerschlossene Gefilde, kann mit ihrer harten D-Mark Kellner und Dienstboten schikanieren, sich über den Dreck und die mangelnden Deutschkenntnisse im Ausland empören. Nicht diese Frauen, die es gewiß vereinzelt gab, gehören in mein Bild. Zu meinem Mosaik gehört die Masse der Frauen, die schnell und deutlich erkannt hat, daß sie mit der DDR ihren Arbeitsplatz, die gesellschaftliche Kindererziehung, die bezahlbare Wohnung, das sichere Umfeld, ihre Stellung in Familie und Gesellschaft verliert. In historisch nie dagewesenem Umfang (weder nach dem Ersten noch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es diesen Geburtenrückgang) verweigerte sich ein Großteil der Frauen zwischen 20 und 40 Jahren dem natürlichen Bedürfnis nach Kindern. Für einen Arbeitsplatz, aus Zukunftsangst und in der Verantwortung, keine Kinder in eine kinderfeindliche Welt zu setzen, ließen sie sich sterilisieren. Die Arbeit war zu ihrem wichtigsten Lebensbedürfnis geworden. Es war eine von jeder Frau ganz individuell getroffene Entscheidung, die in ihrer Dimension die traurige Konsequenz hatte, daß dadurch auch Arbeitsplätze von Hebammen, Kinderärztinnen, Säuglingsschwestern, Erzieherinnen und Lehrerinnen abgebaut wurden. Sie machten sich krumm, nahmen entwürdigende Arbeiten und Umschulungen an, buckelten um Lehrstellen für ihre Kinder - und lernten, lernten wie die Besessenen, um in diesem System für sich einen Sinn zu finden. Sich zu wehren lernten sie noch nicht oder nur vereinzelt. Die Erkenntnis, daß dieser Staat nicht mehr ihre Interessen vertritt, daß versprochenes Wort von Politikern bereits gebrochenes Wort ist, daß sie aus der besitzenden Klasse an Volkseigentum in das große Heer der Besitzlosen gestoßen wurden und dort bleiben sollen - diese Erkenntnis ist der Beginn eines tatsächlichen Solidaritätsgefühls, der Beginn von Widerstand. Es schreibt sich leicht, was schwer verwirklicht worden ist. Gegenseitige Vorurteile, Arroganz, unterschiedliche Lebensweisen, Stellung von Mann und Frau in der Gesellschaft, Erfahrungen, Bildung, Wertvorstellungen, ja, schon die sehr unterschiedlich ausgeprägte Kultur des Zuhörens und Eingehens auf die Gesprächspartner verhindern oftmals das gegenseitige Verständnis. Hätten die Frauen und Männer in Leipzig, Dresden, Dessau oder Ostberlin um die früheren Kämpfe für die Einhaltung der Ladenschlußzeiten und deren Bedeutung gewußt, wären die Verkäuferinnen gewerkschaftlich organisiert gewesen - sie hätten die wenigen HBV-Vertreterinnen nicht beschimpft, sondern in ihrem Boykott unterstützt, den Gesetzesbruch durch die Kaufhauskonzerne verhindert. Noch viele Beispiele ließen sich anführen, wo sich ostdeutsche Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellte zur Aushebelung der im Westen erkämpften Rechte mißbrauchen lassen, sich unsolidarisch verhalten. Die niedrigeren Löhne und längeren Arbeitszeiten, die Aushebelung der Tarifautonomie (Flächentarifverträge), die doppelt so hohe Arbeitslosenquote dienen dem Zweck, diese Verhältnisse auch im Westen durchzusetzen. Allerdings ist auch in Westdeutschland die Entsolidarisierung kein neues Phänomen.

Eine Prognose

Teile und herrsche ist die in Jahrhunderten verfeinerte Strategie zur Systemerhaltung. Da wird die gebildete Frau zur Konkurrentin des Mannes, muß ihn in Härte und Rücksichtslosigkeit noch überbieten, um Karriere zu machen. Der Mann hat kein wahres Interesse, an der Bildung und Befreiung aus den ökonomischen und familiären Zwängen der Frau mitzuwirken. Je mehr sich jedoch der Widerspruch zwischen der Befriedigung einmal geweckter materieller und geistiger Bedürfnisse und dem massenhaften Hinabsinken in Arbeitslosigkeit und Armut verschärft, desto größer wird der Zwang des Hinzuverdienstes, der Teilung der häuslichen Arbeit und Kindererziehung. Seit dem Wegfall der sozialistischen Länder spitzen sich alle gesellschaftlichen Verhältnisse in raschem Tempo zu. Die Klassenverhältnisse nehmen wieder schärfere Konturen an. Immer größere Teile der Bevölkerung sehen sich in ihren bisherigen Lebensverhältnissen beschnitten. Arbeitskämpfe werden zunehmend mit politischen und sozialen Forderungen verbunden. Mit der Aggression nach außen geht die Repression nach innen einher. Die Frage nach Krieg oder Frieden muß zugunsten des Friedens gelöst werden, sonst erübrigen sich alle anderen Fragen. Frauen geben Leben, haben ein ureigenstes Interesse an der Lebenserhaltung, jedoch keine Entscheidungsgewalt, sind zu wenig organisierte Kraft. Nur in Gemeinsamkeit können Frauen und Männer ihr Lebensinteresse gegen die drohende Barbarei durchsetzen, die Emanzipation beider Geschlechter aus ihrer Unterdrückung in der auf Ausbeutung und Profitmaximierung basierenden Gesellschaft erkämpfen, schließlich auch die Abhängigkeit der Frau vom Mann beseitigen, um sich als Gleiche eine Gesellschaft zu schaffen, in der sie sich ungehemmt entwickeln können, jeder seinen gleichberechtigten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum leistet und erhält, die Liebe zueinander frei von allen Zwängen ist und kein Kind mehr gezeugt wird mit der bangen Frage, ob man es sich auch leisten könne.

Sonja Ryll


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