"Kontrolle der Normalität - Normalität der Kontrolle" - Foucaults "Überwachen und Strafen"

Der Pariser Philosophieprof Michel Foucault veröffentlichte 1975 das Buch „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“, um dessen Grundthesen es hier kurz gehen soll. Thema des Buches sind die Veränderungen der Strafmethoden als Zeichen des Wandels in einer Gesellschaft. Das Beispiel der Strafmethoden, und damit des Gefängnisses, bietet sich dabei zur Analyse besonders an, da im Inneren eines Gefängnisses alle Regulationsvorgäne, Kontrollmechanismen und Machtspiele anderer bürgerlicher Institutionen und Systeme komprimiert (und das natürlich nicht zufällig) ablaufen. Kurz gesagt, in einem Gefängnis stößt man/frau auf ein verkleinertes aber dafür sehr genaues Abbild des Überwachungs– und Disziplinierungssystemes eines bürgerlichen Staates. (Daß die BR Deutschland ein perfekter bürgerlicher Vorzeigestaat ist, muß hier wohl nicht gesondert erwähnt werden ...) Die Disziplinargesellschaft unserer Zeit gab es natürlich noch nicht immer. Ihre Vorgängerin war die viel einfacher konstruierte Strafgesellschaft. Deren zentrales Mittel war die Marter, mit anderen Worten die öffentliche Hinrichtung. Gerichtsverhandlungen, wie heute, waren damals die absolute Ausnahme. Der schmerzvolle öffentliche Tod des Angeklagten als Weg, um sein Schuldbekenntnis zu erzwingen, stand dafür im Mittelpunkt, egal ob er Täter war oder nicht. Gestand der Täter im Angesicht von glühenden Zangen oder brennendem Pechharz, war das der ersehnte (faire ?) Sieg für die Ehre von König und Justiz und der Hinrichtung stand nichts mehr im Wege. Gestand er nicht, wurde er natürlich trotzdem hingerichtet, die Zuschauermassen warteten ja auch drauf. In Zuge der ökonomischen und politischen Veränderungen der Mitte des 18. Jahrhunderts, wurde dieses Strafsystem nicht mehr den Anforderungen gerecht, die es erfüllen sollte. Der aufkommende Kapitalismus sorgte für eine rasante Zunahme von Eigentumsdelikten, die nicht alle mit dem drastischen Mittel der öffentlichen Hinrichtung geahndet werden konnten. Außerdem erkannte „man„ damals, wie wichtig es für das neue System sein würde, das Volk ruhig zu halten und zu verhindern, daß es mit „Aufmüpfigen„ sympathisiert. Straffällige durften nicht als Feinde von König oder Kapitalisten erscheinen, sondern mußten durch die Justiz zu Feinden der Gesellschaft gemacht werden. Mit der Herausbildung der Disziplinargesellschaft, wie Foucault sie nennt, wich damit das öffentliche Spektakel der Bestrafung einer heimlichen Kontinuität. Und daran hat sich seitdem nicht viel geändert. Öffentlich und für alle zugänglich bleibt allein die Gerichtsverhandlung. Im wirklichen Mittelpunkt stehen immer raffiniertere Techniken des unsichtbaren Überwachens und Kontrollierens. Dieses beständige Inspizieren, Reglementieren, Erfassen und Dressieren ist und bleibt die Grundlage unserer bürgerlicher Staaten. Foucault erklärt diese Gesellschaft am Beispiel eines panoptischen Gefängnisses. Dort steht ein Wächtertum in der Mitte einer ringförmigen mehrstöckigen Gefängnisanlage (siehe Bild). Der Bau ist so angelegt, daß die Gefangenen, deren Zellen man vom Turm aus durch Glas einsehen kann, nicht erkennen können, ob sich jemand im Turm befindet oder nicht. Der Gefangene kann sich so dem Blick der unsichtbaren Macht nie entzogen glauben. Die Zellen der Häftlinge sind untereinander durch sicht- und schalldichte Wände voneinander getrennt. Die Haft in einem solchen Gefängnis mag eine mildere Strafe als die mittelalterliche Hinrichtung sein, doch dafür ist sie bedingungslos gewiss und unausweichlich. Der Mechanismus des Panoptikums läßt sich in allen Gesellschaftsbereichen finden, oft jedoch erst auf den zweiten Blick. Bildungswesen, Polizei und Bundeswehr sind Paradebeispiele, aber auch z.B. in modernen Büros trifft man/frau auf Foucaults Muster. Natürlich hat sich in den letzten 200 Jahren einiges getan. Seit dem zweiten Weltkrieg wurde besonders im Westteil Deutschlands die Überwachung durch technische und wissenschaftliche „Errungenschaften„ weniger offensichtlich und weiter unabhängig von leicht durchschaubaren Institutionen. Angestrebt wird, daß sich die „mündigen Bürger„ zunehmend gegenseitig, und besonders aber selbst überwachen. Die STASI der Ex-DDR hatte das zu plump und wenig elegant organisiert, deshalb kann sie auch jetzt zu polemischen Diskussionen herhalten. Wer immer da in dem heutigen modernen Staat die Fäden zieht, hat einiges gelernt. Der Ausbau des Polizeiapparates, Lauschangriff, legalisiert oder nicht, Video- und Computerüberwachungen oder „verdachtsunabhängige Personenkontrollen„ durch den Bundesgrenzschutz, wie sie auch in Greifswald verstärkt stattfinden, sind in der Lage, unauffällig jede Abweichung vom gewünschten Normalzustand sofort zu registrieren und auf sie zu reagieren, egal ob es sich um Abweichungen bezüglich der Herkunft, der politischen Meinung oder der Lebensform handelt. Natürlich wird dem „mündigen„ Bürger nicht aufs Butterbrot geschmiert, daß es gerade hier vorbildhaft funktioniert, Foucaults panoptisches Gefängnis. Soweit Gedanken zu einigen Grundthesen aus Foucaults Buch ... Wenn es bis jetzt noch nicht geklingelt hat, wird Euch vielleicht spätestens beim Lesen des Buches klar, warum es in Greifswald manchmal so ruhig ist und niemand etwas tut, wenn man eigentlich ja was tun müßte oder was tun wollte.


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