Das Greifswalder Bündnis gegen rechts

Das Greifswalder Bündnis gegen Rechts hat sich im August 1998 gebildet. In anderen Städten, wie Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Stralsund, wurden solche Bündnisse angesichts der bevor stehenden Wahlen bereits Wochen vorher gegründet. Sogar Wolgast hatte im Juli einen entsprechenden Aufruf gestartet. Offenbar war man in unserer Universitätsstadt aber lange der Meinung, wir hätten so etwas nicht nötig. Die Sommerpause tat ein Übriges. Nur nicht bei den Nazis. Längst schon berichteten überregionale Zeitungen über die zunehmende Organisiertheit der neofaschistischen Szene in M- V und über NPD- Kundgebungen in Kleinstädten. Allgemein wurde als sicher erachtet, daß die DVU einen ähnlichen spektakulären Wahlerfolg wie in Sachsen- Anhalt erringen würde. Mecklenburg- Vorpommern galt unter Antifaschisten als finsterste Provinz und leichte Beute für die Parolen und Kampfgruppen der Braunen. Linke Gegenkultur? So gut wie nicht vorhanden. Engagierte Leute blieben natürlich trotzdem nicht untätig. Einige Greifswalder schlossen sich den Protesten gegen NPD- Aufmärsche im Mai in Stralsund und im Juni in Anklam an. Die Auseinandersetzungen um den von linken Jugendlichen aufgemischten ersten Info- Stand der neofaschistischen NPD in Greifswald am 24. Juli schreckten dann viele Einwohner auf. Nun war endgültig klar, unsere Stadt würde nicht wie durch ein Wunder vom aggressiven Wahlkampf der Neonazis verschont bleiben. Zur selben Zeit kursierten bereits die Einladungen der "Freien Gruppe" und der PDS zu Vorbereitungstreffen für ein Bündnis gegen Rechts. Diese Treffen fanden am 6. und am 10. August statt. Es wurde festgelegt, daß es sich um ein überparteiliches Bündnis von Vereinen, Institutionen, Gewerkschaften und Einzelpersonen handeln sollte. Dann begann die eigentliche Arbeit. Strategien finden, gemeinsame Standpunkte erarbeiten,- und vor allem handeln. Oft hektisch, manchmal fieberhaft überstürzt und immer mit ganzem Einsatz. Ein Papierkrieg der anderen Art begann. Hunderte Plakate der IG Metall ("Vorsicht, Falle!" und "Hau weg den Scheiß!") gegen tausende der NPD, der DVU und der Rep´s. Die Hoffnung, letztere würden bald aus dem Straßenbild verschwinden, erfüllte sich nicht. Dies gelang in einer Stadt wie dem "roten" Neubrandenburg besser. In Greifswald hingen bis zu fünf der ästhetisch anspruchsvollen, dem Auge schmeichelnden DVU- Pappen an Laternen übereinander, garniert mit je einer Pappe der NPD, der CDU oder- wie originell- der PDS. Doch sollen im September auftauchende NPD- und DVU- Plakate "Arbeit zuerst für Blonde" und "Touristen raus aus Mecklenburg- Vorpommern", die von der Bevölkerung mit Überraschung und Empö- rung quittiert wurden, von den Neonazis eigenhändig entfernt worden sein. Ansonsten war zu beobachten, daß sich in Greifswald NPD und DVU ganz gut zu verstehen scheinen. Jedenfalls wurde kurz vor den Wahlen einträchtig in der Innenstadt plakatiert. Die einen haben das Geld, die anderen die Schläger, wie den "einschlägig" vorbestraften Maik Spiegelmacher, Kopf der Neonaziszene Greifswalds. Er und seine ungeschlachten Mannen zogen im September nachmittags regelmäßig in breiter Front durch die Lange Straße und machten mit solchen Demonstrationen der Stärke auf die Greifswalder Passanten und Passantinnen einen eher ungünstigen Eindruck, assoziierten sie doch nicht positives Heldentum à la "Die glorreichen Sieben", sondern eher die Finsterlinge aus "High noon". Die schwarz- roten und gelben Gewerkschaftsplakate wurden abgerissen, Antifaschisten bedroht und tätlich angegriffen. Die Atmosphäre wurde zunehmend klammer. Bei den Wahlkampfauftritten von Oskar Lafontaine und Helmut Kohl durften sich die Glatzen ungehindert produzieren. Es kam nicht einmal nennenswerte Aggressivität gegen sie auf. Höhepunkt des Widerstands waren hochgestreckte A4- Zettel mit dem Slogan "Nazis raus aus den Köpfen". Wie da die Guten der verschiedenen Parteien mit ihren Infoständen und die Bösen mit ihrem notdürftig gepinselten Spruchband friedlich zusammenstanden und Oskar Lafontaines Stimme sich über der Szene erhob- er äußerte sich ja auch gegen Rechtsextremismus-, konnte ein sensibler Antifaschist schon erhebliche Selbstzweifel kriegen. Zumal ja ein Antifaschist heute sowieso die meiste Zeit damit beschäftigt ist zu überlegen, was er eigentlich "auf dem Boden des Grundgesetzes" noch gegen Faschismus und Rassismus tun darf. Wirksame Methoden aller Art sind natürlich nicht erlaubt, da sie unweigerlich ein Verschwinden der Nazis zur Folge hätten. Diese werden aber gebraucht, um das linke Potential in Schach zu halten. Besser (und immer besser) klappte der organisierte Protest gegen die NPD- Infostände. Zwischen vierzig und hundert Leute verhinderten auf friedliche Weise, daß die Nazis ihr "Informationsmaterial" loswurden. Das heißt, los wurden sie es schon- an die bereitgestellten Müllsäcke. Nach den Wahlen beschloß das Bündnis gegen Rechts, seine Arbeit fortzusetzen. Es entstanden mehrere Arbeitsgruppen, darunter die AG Bildung, die seit Oktober eine Lesung, zwei Filmabende und eine Ausstellung organisiert hat. Zum 60. Jahrestag der "Reichskristallnacht" wurde eine Presseerklä- rung abgegeben, die auszugsweise in der "Ostsee- Zeitung" erschienen ist. Diese Gruppe trifft sich regelmäßig einmal im Monat und sucht noch Mitstreiter. Besonders im kommenden Frühling gibt es viele Aufgaben, so im Zusammenhang mit dem geplanten "Rock gegen Rechts"- Konzert, einem Antifa- Wochenende im "klex" , dem Auftritt des "besten deutschen" Kabarettisten Dietrich Kittner und einigen Vorträgen. Ganz wichtig für Greifswald ist auch die Gründung der "Jungen Antifaschistischen Aktion", in der sich Schüler und Lehrlinge unter 20 zusammengefunden haben. Sie trifft sich jeden Freitag und ist über Tel. 03834- 594739 (Anrufbeantworter) zu erreichen. Außerdem gibt´s noch den Ermittlungsausschuß, der die Delikte der Nazis in Greifswald sowie deren Verfolgung (oder Nicht- Verfolgung) durch die Polizei im Auge behalten und Opfern von rechtsextre- mer Gewalt Hilfe von Rechtsanwälten und/ oder Ärzten/ Psychologen beschaffen soll. Diese AG befin- det sich im Aufbau, wie auch die Presse- AG. Daneben wurde Interesse an der Bildung von AGs zu den Themen Flüchtlingspolitik/ Asyl, Burschenschaften und Landsmannschaften sowie einer AG Polittourismus (038328-80754) geäußert. Auch der Wunsch nach verstärktem Kontakt zu Antifas in den Städten der Umgebung (Stralsund, Wolgast, Grimmen, Neubrandenburg...) und in Polen (Szczecin) wurde laut. Eine Vernetzung ist angestrebt. Bilanz des Wahlkampfes: in Greifswald haben sich- endlich- antifaschistische Strukturen herausgebildet. Doch auf der anderen Seite organisiert sich auch der "NPD- Kreisverband Greifswald", der kürz- lich im "Anzeigen- Kurier" inserierte, er suche für seinen Fußballklub "Sport statt Gewalt" (SSG) einen Trainer. Am 6. Januar hat sich im Hotel am Dom der Landesverband der rechtsextremen „Jungen Freiheitlichen“ (Bund Freier Bürger) gegründet. Bei den Kommunalwahlen im Juni werden DVU und NPD möglicherweise zusammen antreten und spätestens Ende April mobilmachen. Deshalb ist das Engagement jedes einzelnen gefragt. Bündnistreffen finden jeden Monat statt. Dort kann man sich informieren und sich eventuell für eine der Arbeitsgruppen eintragen. Auf jeden Fall wird jede Art von Unterstützung gebraucht und dankbar angenommen.

-cher

Kontakt zum Bündnis gegen Rechts: 03834- 897514, 03834- 508446


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