Greifswald setzte sich in den Weg
NPD-Demo wurde gestoppt und zum Südbahnhof umgeleitet
 

Dieser Sonnabend lief sicher nicht ganz so nach dem Geschmack von Spiegelmacher & Co. Den Verlauf und das Ende ihrer "Friedensdemo" hatten sich die Germanenkrieger sicher anders vorgestellt. Nicht nur, daß sich bloß rund 130 Friedensengelchen in den eigenen Reihen finden ließen. Nein, diesmal gelang es tatsächlich, sich den Nazis in den Weg zu stellen und es ihnen nicht zu ermöglichen, ihre geplante Route zu Ende zu führen. Ein Erfolg, der im Rückblick auf die Ereignisse am 14. Januar und die jetzigen Schwierigkeiten, wirksamen Protest gegen die NPD zu organisieren, schon ein wenig unheimlich anmutet. Jedoch ein Erfolg mit einigen Wermutstropfen.

Einen günstigen Aufmarschtermin hatte sich die NPD ja ausgesucht. Semesterferien, Gegenprotestvorbereitungen fielen mitten ins Sommerloch. Und in der Tat, nur wenig sah im Vorfeld nach einem Gelingen der Proteste aus. Daß sich die Zahl von 7000 sicher nicht erreichen ließe, war bereits im Vorfeld klar. Doch würde sich überhaupt eine wirkungsvolle Anzahl an GreifswalderInnen und Greifswaldern an den Protesten beteiligen? Schließlich ist es ja auch Konzept der NPD durch immer wiederkehrende Aufmärsche einen Abnutzungseffekt in der Protestbewegung zu erzielen. Sicher, die Zahl von 7000 wurde nicht erreicht, dafür war das Engagement diesmal wesentlich wirkungsvoller.

Bereits um halb zehn waren die ersten auf den Beinen, um am Mahnmal der Opfer des Faschismus Kränze niederzulegen. Dies war der Freitagsrunde als Anmelder auf Anweisung des Innenministeriums noch am Vortag verboten worden. Das Verwaltungsgericht hatte jedoch nach Intervention der VeranstalterInnen das Verbot aufgehoben, so daß sich rund 150 Menschen morgens auf dem Wall einfanden (mit dabei übrigens auch ein Fotograf der Nazis, der jedoch des Platzes verwiesen wurde. Wir werden später darauf noch eingehen, da dieser Mann auch später während der Blockade fotografierte). An ein Betreten der Bahnhofsstraße war bereits zu dieser Zeit nicht mehr zu denken. Die Polizei hatte alle Zufahrtswege abgesperrt und ließ nur Anwohner passieren.

Nach der Kranzniederlegung auf dem Wall und dem Gottesdienst auf dem Greifswalder Marktplatz fanden sich dort rund zwei- bis dreitausend Menschen zur großen Kundgebung zusammen. Nach Beendigung der Kundgebung auf dem Markt erklärten verschiedene Menschen, sie würden nun das Motto "Greifswald stellt sich in den Weg" wörtlich nehmen und zivilen Ungehorsam leisten, indem sie den Nazis durch eine Sitzblockade den Weitermarsch verwehren würden. Einige Hundert taten es ihnen gleich und zogen durch den Schuhagen Richtung Europakreuzung. Dort war bereits ein großes Polizeiaufgebot aufgefahren, welches den Zugang zum Kreuzungsbereich von allen Seiten abriegelte. Einige PolizeibeamtInnen stellten bereits hier unter Beweis, daß sie aus den Ereignissen am 14. Januar in Greifswald und der darauffolgenden Kritik an ihrem damaligen Vorgehen nicht viel gelernt haben. Auch wenn sich der Großteil der eingesetzten BeamtInnen absolut korrekt und fair verhielt, traf das auf einige hier und später überhaupt nicht zu, z.B. die an der teilweisen Räumung einer Sitzblockade beteiligten BeamtInnen. Ein Beamter war seinem Auftreten nach offensichtlich angetrunken. Es ist wirklich die Frage, warum es immer wieder PolizistInnen gibt, die sofort und ohne Vorwarnung hart und mit Gewalt gegen friedliche ProtestiererInnen nicht der Situation entsprechend reagieren und warum immer wieder PressevertreterInnen durch einzelne Beamte behindert werden. Fraglich ist auch, warum die eigens organisierten und deutlich gekennzeichneten SanitäterInnen, die die Proteste und Sitzblockaden begleiteten und von deren Existenz die Polizei eigentlich wissen sollte, oft nicht durchgelassen wurden.

Der ganze Bereich der Europakreuzung war abgesperrt und für die NPD freigeräumt. Einigen GegendemonstrantInnen war es jedoch gelungen, in die Anklamer Straße zu gelangen und sich dort auf die Straße zu setzen. Ehe die Polizei die Situation überhaupt erfassen konnte, wuchs die Zahl der BlockiererInnen schnell an, die über Schleichwege die Abriegelung der Polizei umgehen konnten. Auch an anderen Stellen in diesem Bereich setzten sich Menschen auf die Straße, oft auch ältere PassantInnen, die spontan ihr Rad auf die Straße legten und sich daneben setzten. Auch hier war das Vorgehen der Polizei sehr unterschiedlich. Während ein Zugführer ruhig und entspannt auf die PotestiererInnen einredete und seine KollegInnen überlegt und ohne übermäßige Härte die DemonstrantInnen wegtrugen, zerrten nur wenige Meter entfernt einige Beamte sinnlos an den Sitzenden herum. Ihr Verhalten wirkte ähnlich wie am 14. Januar unbeherrscht und unprofessionell. Auf Videoaufnahmen ist zum Beispiel deutlich zu sehen, wie ein Beamter einen Demonstranten mit Hilfe seines unter den Hals desjenigen geklemmten Schlagstocks über den Asphalt von der Straße zieht.

Die Zahl der Leute, die sich auf der Straße niedergelassen hatten, war nun aber bereits so stark angewachsen, daß die Polizei es aufgab, Sitzblockaden zu verhindern. Gut 200 bis 300 Menschen machten ein Durchkommen der Nazis unmöglich. Nun begann die Zeit des Wartens auf das weitere Vorgehen der Polizei. Es wurde gesungen, Gitarre gespielt, ältere Passanten kauften Wasserflaschen und verteilten sie an die Sitzenden und eine Gruppe bunt Verkleideter versorgte die Sitzblockade unter dem Motto "Friede-Freude-Eierkuchen" mit selbigen.

Nach einiger Zeit knackte es in den Lautsprechern der Polizei und die Stimme eines Polizeiverantwortlichen erklärte, daß die Polizei nicht vor hätte, den Bereich Anklamer Straße mit Zwangsmitteln zu räumen und einen Kompromiß vorschlüge, um den Charakter des friedlichen Protests beizubehalten. Die Sitzblockade wird aufgelöst und die DemonstranInnen ziehen sich hinter die Kreuzung Anklamer Str./Beimlerstr. zurück, damit die NPD in die Beimlerstr. umgelenkt werden kann. Im Gegenzug versichert die Polizei, daß die NPD direkt und sofort zu ihrem Abfahrtspunkt Südbahnhof zieht und von dort die Abfahrtszüge besteigt. Auf die Aussage der Polizei vertrauend, die Nazis würden jetzt zum Südbahnhof laufen und von dort dahin verschwinden, von wo sie gekommen sind, willigten die Meisten ein, erhoben sich und räumten den Kreuzungsbereich. Die NPD konnte daraufhin unter lautstarkem Protest ihrer GegnerInnen in die Beimlerstr. ziehen. Dorthin wurde sie nicht nur von Polizei, sondern auch von vielen GegendemonstrantInnen begleitet und die nervliche Anspannung war den Nazis deutlich anzusehen. So mußten die NPD-Ordner ihre Kameraden sehr in Schach halten.

Am Südbahnhof wurde dann klar, daß es die Polizei mit ihrem Versprechen, die Nazis sofort und direkt zum Abfahrtsort Südbahnhof zu bringen, damit sie die Stadt wieder verlassen können, nicht sehr ernst meinte. Die NPD konnte auf einer Wiese noch in aller Ruhe ihre Endkundgebung abhalten. Das nennt mensch gemein hin "über'n Tisch gezogen" oder auch "über's Ohr gehauen". Zu recht kamen sich die Menschen, die ihre große und druckvolle Sitzblockade für ein Versprechen der Polizei aufgegeben hatten, richtiggehend "verarscht" vor.

Von den gehaltenen Reden war durch den umliegenden, lautstarken Protest überhaupt nichts außerhalb des NPD-Trüppchens zu hören. Genauso wie am 14. Januar wurden wieder wie in alter DDR-Pionier-Fahnenappell Manier zwei verdiente Kameraden ausgezeichnet. Generell ist man bei den Nazis den alten DDR-Traditionen und Terminologien nicht abgewandt. So sprach Axel Möller, der seine Kameraden wieder mit einer seiner berühmten quakig-pommerschen Langweilreden quälte, lieber von "Rat der Stadt" statt "Bürgerschaft". Man wurde zwar nicht müßig, immer wieder das Friedensengagement der Nazis zu betonen, Möller jedoch schloß mit den Worten, man werde um Deutschland kämpfen und unter ihnen selbst gäbe es keinen Petershagen. Rudolf Petershagen war in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs der Stadtkommandant von Greifswald. Er hatte auf eigene Faust Verhandlungen mit der Roten Armee aufgenommen und die Stadt kampflos an sie übergeben und damit vor der Zerstörung bewahrt. In Nazikreisen gilt Petershagen als Verräter. In einer nicht zu überbietenden Geste der Heuchelei ließen die Nazis, allen voran der wegen versuchten, gemeinschaftlichen Mordes verurteilte Spiegelmacher Friedenstauben fliegen. Recht frustriert über den doch sehr offensichtlichen Mißerfolg ihres Unternehmens "Frieden mit der NPD" machten sich Kämpfer für Deutschland von dannen.

Am Abend ging es dann noch rund. Das Internationale Wohn- und Kulturprojekt, kurz IKUWO, war Partyzone. Zu Gast waren polnische MC's aus Szczecin die zusammen mit Rostocker und Greifswalder MC's die Turntables massierten sowie Punky-Reggae-Party und House/Drum & Bass /Elektro Spezialisten aus Greifswald, die der mehr als vollen Goethestraße 1 einheizten. Sehr angenehm war auch die Stimmung unter den BesucherInnen, von denen viele an den Protesten und Sitzblockaden in der Anklamer Str. beteiligt gewesen waren. Von "Siegesparty" keine Spur. Es überwog die entspannte Freude, es geschafft zu haben, sich den Nazis in den Weg zu stellen und die Erleichterung, daß alles überwiegend gewaltlos und friedlich abgelaufen war.

Bilder und Videos gibt es hier.

 

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