Vom „Leben“ gezeichnet

Amtsgericht Greifswald verhandelte gegen rechte Schläger

„Gegen Gewalt und Drogen“. So hieß es bereits schon einige Male auf Demonstrationen der Greifswalder NPD und ihrer Schülerinitiative. Um Gewalt und Drogen ging es auch bei zwei Prozessen, die im Dezember letzten Jahres am Amtsgericht Greifswald stattfanden. Im ersten Fall wurde gegen den NPD - Kreisvorsitzenden Maik Spiegelmacher wegen Alkohol am Steuer und einer Schlägerei unter seinen Kameraden verhandelt. Keine zwei Wochen später waren drei Jugendliche angeklagt, einen sudanesischen Studenten überfallen und schwer verletzt zu haben.


Darauf wird Spiegelmacher bald verzichten müssen.
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Ende der Nachsicht - Spiegelmacher muss ins Gefängnis

Skin“, immer wieder „Skin“. Manchmal auch „Hass“. Je nachdem welche Hand er ständig zum Mund führt. Je nachdem an welchen Nägeln er kaut, je nachdem sind „Skin“ und „Hass“ auf seinen Fingern zu lesen. Eintätowiert. Vor vielen Jahren. Jugendsünden, wie er einmal in einem Interview sagte. Und sie sind oft zu lesen. Sehr oft. Denn Spiegelmacher ist nervös, extrem nervös. Ständig zucken seine Gesichtsmuskeln, ständig runzelt er die Stirn, kneift die Brauen zusammen, verzieht den Mund nach hinten, rollt mit seinen Augen, läßt seinen Blick durch den Saal kreisen. Zu seinem Anwalt Dr. Eisenecker, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, zur vorsitzenden Richterin, zur Staatsanwältin, zu den Zeugen, die ihn eigentlich entlasten sollen. Dabei hatte er sich noch vor dem Amtsgericht unter seinen Kameraden betont lässig gezeigt. Rund 30 NPD- Anhänger hatten sich am Karl-Marx-Platz eingefunden und bekundeten mit Fahnen und Transparenten („Freiheit für Maik Spiegelmacher“) ihre Solidarität mit ihrem Anführer. Der genoß dies sichtlich. Keine Spur von Nervosität, locker, lachend, permanent grinsend. „Seht her, mir kann nichts passieren“. In den Saal zehn, noch schnell ein Maskenwechsel. Das Lachen weicht einem angestrengten Grinsen. Manchmal reicht es nicht einmal mehr dafür und die unkontrollierten Zuckungen beherrschen wieder sein Gesicht. Grauer Pullover, blaue Jeans, leise Schuhe, nur nicht brutal wirken. Ganz im Gegensatz zu seinen Intimi. Schwere Stiefel, Bomberjacken, hochgekrempelte Militärhosen und breitbeinig wippend. Der Saal ist völlig überfüllt. Nazis belegen rund dreiviertel der Plätze. Nicht noch mehr, weil sich einige andere, beim Eintritt an ihnen vorbeidrängelnd, einen Platz sichern konnten. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß, nur muss sie vorläufig draußen bleiben. Es ist kein Platz mehr. Die Informationspolitik des Gerichts ist ohnehin fragwürdig. Pressevertreter hatten zum Teil erst einen Tag vorher vom Prozeß erfahren und interessierten Bürgern, die sich telefonisch nach der genauen Uhrzeit erkundigen wollten, wurde vom Gericht erklärt,dass diese vorher nicht mitgeteilt würde, sondern auf einem Tagesplan erst am Prozessmorgen nachzulesen sei. Dabei ist Spiegelmacher einigermaßen bekannt in der Stadt und für viele Greifswalder und Greifswalderinnen ein Synonym für das hässliche Gesicht Greifswalds und die traurigen Ereignisse der letzten Jahre in dieser Stadt. Und es sollte nicht um Apfelklau oder Schwarzfahren gehen, sondern um eine Körperverletzung und eine Trunkenheitsfahrt innerhalb einer mehrjährigen Bewährungszeit. Im November letzten Jahres soll Spiegelmacher einen Bekannten am Kopf verletzt haben und im April diesen Jahres stellten ihn Greifswalder Polizisten auf einer nächtlichen Autospritztour mit mehr als 1,5 Promille Alkohol im Blut. Zwei Vorwürfe, die vor dem Hintergrund seiner Vorstrafen und seiner gerade vor ein paar Tagen abgelaufenen Bewährung bei Verurteilung mit Sicherheit eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen würden. Außerdem will Spiegelmacher im nächsten Jahr zu mehreren Wahlen antreten und wird im Wahlkampf als Greifswalder Vorzeigefigur gebraucht.
Es steht einiges auf dem Spiel. Dies wissen auch die Zeugen, die ihn entlasten sollen. Von der Körperverletzung bekam die Polizei durch Zufall während einer anderen Vernehmung Kenntnis. Für deren Ermittlung postulierte die Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse und begann deshalb auch ohne Anzeige des Geschädigten zu ermitteln. Karlsburg, November 2000: Auf einer Geburtstagsfeier kommt es zwischen Spiegelmacher und seinem Bekannten W. zum Streit über Musik, der dann im Hausflur angeblich durch gegenseitiges Schubsen zum Sturz und Kopfverletzung von W. führt. Mit Schubsen hätte der Verletzte angefangen. Spiegelmacher wollte nur die Distanz wieder herstellen und gab seinem Kontrahenten retour. Der Verletzte, stark alkoholisiert, sei getaumelt und mit dem Kopf gegen eine Stange gestoßen. Spiegelmacher, ganz der Samariter, hätte sich sofort um den Verletzten gekümmert und dann mit allen wieder munter bis zum nächsten Morgen weitergefeiert. W. bestätigt im Wesentlichen Spiegelmachers Version und betont, dass auf alle Fälle er, im Habitus rund die Hälfte von Spiegelmachers Volumen und mehr als einen Kopf kleiner, mit Schubsen angefangen habe und es somit alles auch seine Schuld sei. Er spricht sehr leise und wirkt ängstlich. Die Richterin muß ihn mehrfach ermahnen, doch bitte lauter zu sprechen. Bei der Befragung über seine später widerrufenen Aussagen bei der Polizei, in denen er eine andere Version lieferte, wirkt er völlig hilflos. Auf die Frage, wer ihm denn beim schriftlichen Widerruf geholfen habe, eine Bemerkung darüber war ihm gerade entwichen, ist W. überhaupt nicht gefaßt. Hilflos fragende Blicke an Spiegelmachers Anwalt Eisenecker bleiben unbeantwortet. Nach einigem Stammeln erklärt er, er wisse es nicht mehr. Die nach ihm befragten Kriminalbeamten geben an, dass W. in der ersten Vernehmung eine andere Version lieferte und mit zunehmender Nachfrage offenbar immer mehr Angst bekam. Angst vor den Konsequenzen seiner Aussage?
Mehr Licht bringt ein anderer Zeuge. H., der an diesem Abend eine Bekannte von der Feier abholen wollte und so nur zufällig anwesend war, bestätigt seine bei der Polizei gemachten Aussagen. Beim Öffnen der Wohnungstür hätte W., wahrscheinlich jemand anderen erwartend, mit blutendem Kopf und einem Knüppel in der Hand einen Satz zurück gemacht. Spiegelmacher selbst war nicht anwesend. Insgesamt sei die Stimmung sehr niedergeschlagen gewesen und H. hatte den Eindruck, die in der Wohnung Verbliebenen, inklusive W., hätten Angst vor Spiegelmachers Rückkehr gehabt. Eine weitere Zeugin, die in ihren polizeilichen Vernehmungen Spiegelmacher schwer belastet hatte, wird nicht gehört, da sie ein Attest vorweisen kann. Darin bescheinigte ihr ein Arzt, eine Befragung könnte ihr und ihrer Schwangerschaft schaden.
Angst, physischer oder psychischer Druck oder was auch immer - wie weit Spiegelmachers Kameraden gehen, um ihren Führer zu entlasten, zeigt sein ehemaliger Mitbewohner in der Befragung zum zweiten Tatkomplex. In der Nacht zum 13. April 2001 beobachteten zwei Polizeibeamte in der Makarenkostraße ein ungewöhnlich langsam fahrendes Fahrzeug. Mit dem Verdacht auf eine sogenannte Trunkenheitsfahrt stoppten sie den Wagen und kontrollierten seinen Fahrer. Bei diesem handelte es sich, da waren sich beide Beamten hundertprozentig sicher, um Maik Spiegelmacher. Beide hatten den Wagen eine Zeit lang verfolgt und die Insassen und Türen nicht aus den Augen gelassen. Der Fahrertür entstieg Spiegelmacher. Sein nächtlicher Spritztourkumpan St. und er behaupten aber, St. sei gefahren und Spiegelmacher lediglich Beifahrer gewesen. Beide seien noch vor Ankunft der Polizeistreife ausgestiegen und vor das Auto gegangen, damit Spiegelmacher, von der Beifahrerseite kommend, St. als Fahrer die Fahrzeugpapiere geben konnte. Dabei hätten die Polizisten sie verwechselt. Das ist selbst der Staatsanwältin etwas zu himmelblau. Sie läßt Spiegelmachers „Fahrer“ vereidigen. Der stand noch vor Prozessbeginn auf dem Gerichtsvorplatz bei einem Transparent: „Wer die Wahrheit nicht erkennt, ist ein Dummkopf. Wer sie aber eine Lüge nennt, ein Verbrecher“ Nun wird er wahrscheinlich selbst die Konsequenzen des Spruchs zu spüren bekommen, denn auch wer die Lüge Wahrheit nennt, ist nach dem Gesetz ein Verbrecher. Ein Meineid wird laut Strafgesetzbuch mit mindestens einem halben Jahr Freiheitsentzug bestraft.
Während Spiegelmachers Vorstrafen verlesen werden, seine Bewährungszeiten erörtert werden und selbst seine Bewährungshelferin lieber gar keine Sozialprognose abgeben möchte, sind seine Tätowierungen an der Hand ununterbrochen zu lesen. Nur in der Pause, vor seinen Kameraden, zeigt er sich wieder betont locker.
Für die Staatsanwältin gestalten sich beide Fälle als klare Sache. Ihr Plädoyer ist dementsprechend kurz und bündig. Neun Monate Gefängnis ohne Bewährung, kein neuer Führerschein in den nächsten 14 Monaten. Anders Rechtsanwalt Eisenecker. Sich der schlechten Karten seines Mandanten bewusst, holt er weit aus. Sehr weit. Die Kopfverletzung eine Lappalie wie bei spielenden Kindern und eher ein Unfall als eine Körperverletzung. Die ganze Ermittlung laut einem BGH-Urteil nicht rechtens. Die Polizeibeamten durch marginale Abweichungen in ihren Aussagen per se unglaubwürdig. Seine Forderung: Freispruch in beiden Fällen.
Doch von Eiseneckers berüchtigter Rethorik läßt sich die Vorsitzende nicht beeindrucken. Ihr Urteil lautet acht Monate Freiheitsentzug ohne Bewährung. Vierzehn Monate keinen Führerschein. Die Kosten trägt der Angeklagte. „Skin“ und „Hass“ verschwinden in der Jackentasche und sein Gesicht bleibt stehen. Erstarrt in einer Mischung aus Wut und Unglauben.


Als Reaktion auf den Überfall auf Ali fanden 2001 zwei studentische Demonstrationen in Greifswald statt. Hier die der Studentenclubs am 5. Juli
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Nach der Demo vor der Mensa: Togolesische Trommler und Thomas Putensen
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„'Nigger', das sagt doch jeder normale Mensch“ - Prozeß gegen die Peiniger des sudanesischen Studenten Ali S.

Klickende Handschellen. In ihnen drei junge Männer. Der jüngste18, der älteste 20. Angeklagt des versuchten Mordes an einem 24-jährigen Studenten aus dem Sudan. Zusammengeschlagen und brutal misshandelt auf der Toilette der Greifswalder Dompassage. Seine Hautfarbe und der Zufall ließen ihn zum Opfer werden. Auch bei der Aufklärung spielte der Zufall eine nicht unwichtige Rolle. Am 9. April bekam ein damaliger Mitarbeiter von moritz TV die Information, in Greifswald hätte sich erneut ein rassistischer Übergriff auf einen ausländischen Studenten ereignet. Auf der Toilette der Greifswalder Dompassage hätten mehrere deutsche Jugendliche einen farbigen Studenten zusammengeschlagen und verletzt. Am darauffolgenden Mittwoch fand sich jedoch in der Greifswalder Presse keine Mitteilung zu diesem Vorfall. Bei einem Interview zum anstehenden Castortransport mit dem Chef der Polizeidirektion Anklam und seinem Pressesprecher fragte er noch am Mittwoch nach. Dort hieß es nur, dies könne nicht sein, davon hätte man sonst längst Meldung aus der Polizeiinspektion Greifswald bekommen. Gerade bei Gewaltdelikten gegen Ausländer sei man aufgrund der besonderen Bedeutung solcher Straftaten sehr sensibel. Fazit: Falschinformation. Trotzdem wolle man noch mal in Greifswald nachfragen. Und plötzlich, der Vorfall hatte sich tatsächlich ereignet, war aber durch die Kollegen der PI Greifswald nicht weitergemeldet worden. Vorschriftswidrig. Bei einer anderen, angenehmeren Gelegenheit wäre die Bezeichnung „mit heruntergelassenen Hosen erwischt“ sicher sehr passend gewesen. Plötzlich herrschte rege Betriebsamkeit und ein großer OZ-Artikel darüber tat sein übriges. Natürlich ist es nur eine Vermutung, dass dieser Fall mit dem Stempel „Verfahren eingestellt, da keine Täterermittlung“ in die ewigen Aktengründe eingegangen wäre. Doch der politische Druck verfehlte seine Wirkung nicht. Vertreter der Universität und der Stadt meldeten sich zu Wort und eine Demonstration von deutschen und ausländischen Studierenden führte vom Studienkolleg in der Makarenkostraße auf den Greifswalder Markt. Auf dem Weg dorthin zeigte sogar der NPD-Chef von Greifswald, Spiegelmacher, Flagge - NPD-Fahnen vom Balkon seiner Wohnung, an der die Demonstration vorbeiführte.
Knapp drei Wochen später war in der OZ zu lesen, der Überfall in der Dompassage stehe offenbar vor seiner Aufklärung. Mehrere Tatverdächtige seien festgenommen worden. Nach neuester Zeugenvernehmung habe die Tat jedoch keinen rechtsradikalen Hintergrund und die vermutlichen Täter seien ganz normale Jugendliche. Kein ausländerfeindliches Motiv, kein Eingang in die Statistik über rechtsradikale Gewalt im Land. Daran dürfte sich bis heute nichts geändert haben. Genausowenig wie an dem Wort, das sich Christian H., einer der Angeklagten, auf seine linke Hand tätowiert hat und in der Verhandlung versucht, ständig mit seiner Rechten zu bedecken. Früher waren die beiden „S“ in „Hass“ Runen, das Zeichen der SS. Aber nach Drohung eines Polizeibeamten, er würde ihn wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen anklagen, hätte er sich für straffreie „S“ mit abgerundeten Bögen entschieden. Doch davon wird das Opfer Ali S. nichts bemerkt haben, denn Christian H. stand Schmiere und passte auf, dass niemand seine Freunde störte. Auch das Zeichen „88“ auf der Faust von Heiko S., einem weiteren Angeklagten, wird Ali S. kaum bemerkt haben, während sie in sein Gesicht schlug und er das Bewusstsein verlor. Wenn doch, hat er es sicher nicht verstanden. Wie alles an diesem Abend.
Es war schlichtes Pech, dass sich sein Weg mit denen von Ralf M., Christian H., Heiko S. und Maik M. (das Verfahren gegen ihn ist von dem der anderen abgetrennt) kreuzte. Am Abend begegnet er diesen vier auf der Toilette der Greifswalder Dompassage. Die, so oft dort wie betrunken, gehören zu einer Clique, die regelmäßig in der Dompassage abhängt und bekannt dafür ist, Passanten anzupöbeln. So auch auf der Toilette. Es fällt ein Wort, das Ali nicht versteht. Er fragt nach und erhält als Antwort eine Schimpfkanonade, die auf ihn niederprasselt und der sofort Fäuste folgen. Er geht zu Boden und verliert die Erinnerung an das nun Folgende. Zehn bis fünfzehn Minuten, so einer der Angeklagten, habe die ganze Sache gedauert. Zehn bis fünfzehn Minuten, in denen zwei die Tür sichern und zwei sich über den hilflosen und am Boden liegenden Ali S. hermachen. Zehn bis fünfzehn Minuten - so lang wie die „Tagesschau“. Als seine Peiniger endlich von ihm ablassen, liegt Ali in seinem eigenen Blut. Nur mit Mühe kann er sich zu seinem vor der Passage wartenden Freund schleppen.
Der behandelnde Arzt sagt in der Verhandlung aus, er habe schon einige hundert „Rohheitsdelikte“ gesehen, aber er hätte sich sehr gewundert, warum der Geschädigte bei diesen massiven Gesichtsverletzungen keine Frakturen davon getragen habe.
Alis Aussage fällt ihm sichtlich schwer. Mit gesenktem Blick spricht er so leise, dass nur sein Dolmetscher ihn verstehen kann. Nur nach Aufforderung schaut er in die Gesichter der Angeklagten und erkennt seine Peiniger wieder. Für die Angeklagten ist die Sache klar. Ali, drei der vier Angeklagten sind größer und kräftiger als er, habe ganz klar die vier provoziert. Deshalb hätten sie ihn geschubst und „leicht“ geschlagen. Außerdem sei, so Ralf M.: „mein Fuß irgendwie gegen sein Bein gekommen“, aber getreten habe niemand. Das ist selbst seinem Anwalt zuviel. Er ermahnt seinen Klienten bestimmt, es hätte hier jetzt keinen Sinn, Dinge zu erzählen, die sich durch das rechtsmedizinische Gutachten leicht widerlegen lassen und bittet um eine Unterbrechung. Auch der Anwalt von Christian H. ist bei den Aussagen seines Klienten nervös und lässt ein Aktengummi wie einen Rosenkranz durch seine Hand kreisen. Sobald der vorsitzende Richter ihnen ihre polizeilichen Vernehmungen und gegenseitigen Belastungen vorhält, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich in ein kleinlautes „ich weiß nicht mehr“ zu flüchten. Das ist ihr Recht, aber nicht ihr Vorteil. Trotzdem zeichnet sich so ein etwas anderes Bild ab. Von „Kampfmaschinen“, die wie von Sinnen waren (Maik M. über Ralf M. und Heiko S.), und „ich dachte, der wär tot“ (Maik M. über Ali S.) ist die Rede. Zahlen fallen: zehn bis fünfzehn Tritte auf Beine, Oberkörper, Kopf, Genick und Gesicht, mehrere Faustschläge ins Gesicht, insgesamt zehn Minuten (Heiko S.) oder sogar fünfzehn Minuten (Christian H.) Dauer der Misshandlung. Aufgehört hätten sie, weil er „genug hatte“, denn „es war mir klar, dass er sterben kann“ (Christian H.). Auch das Motiv wird durch die Aussagen etwas klarer. Christian H. und Heiko S. seien zur Tatzeit beide „rechts“ gewesen, erklären sie. Ausländer mögen sie nicht, „raus mit den Leuten“. Sein: „Ich wurde wütend auf den Nigger“ sei Heiko S. in der Vernehmung nur so rausgerutscht und außerdem verwende das Wort „doch jeder normale Mensch“. Auf die Frage, ob die Tat etwas mit dem Ausländersein von Ali S. zu tun hat, möchte er lieber nichts sagen. Ebenso zur Bedeutung der Zahl „88“ auf seiner Hand. Sie gefalle ihm eben. Unklar bleibt die Frage, mit welchen Schuhen er zugetreten habe. Stahlbewehrte „Doc Martens“ wie es Maik M. in der Vorvernehmung behauptete oder einfache Turnschuhe. Beim Blut an bei ihm beschlagnahmten Turnschuhen handelt es sich laut Rechtsmedizin jedenfalls nicht um das Blut von Ali S.
Insgesamt begreifen die drei nicht so recht die Schwere des Verbrechens, das ihnen vorgeworfen wird. Sie wirken wie drei Schuljungen, die zum Direktor zitiert worden sind. Heiko S. lächelt seiner Mutter verlegen zu, als ginge es um eine eingeworfene Scheibe bei den Nachbarn. Sie verstehen nicht, wenn der Gerichtsmediziner von „oberflächlicher Hautläsion durch tangentiale Gewalteinwirkung“ oder die psychiatrische Gutachterin vom fehlenden „adäquaten Selbstwertkonzept“ sprechen. Aber sie haben damals verstanden, was es braucht, um einen Schwächeren, Wehrlosen zu malträtieren. Schließlich trägt es einer von ihnen auf seiner Hand. Die Urteile sind durchweg Haftstrafen ohne Bewährung: Ralf M. ist nach Ansicht des Gerichts außer der gefährlichen Körperverletzung an Ali S. für einen Angriff auf einen Touristen auf dem Marktplatz im April 2001 verantwortlich. Gegen ihn ergeht zusätzlich wegen einiger Diebstähle eine Gesamthaftstrafe von vier Jahren. Christian H. ist der Beihilfe an der gefährlichen Körperverletzung an Ali S. schuldig und wird zu einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Das Gericht befand Heiko S. der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen sowie einer Bedrohung für schuldig und verhängt eine Haftstrafe von vier Jahren. Nach Ansicht des Richters hat gerade er sich mit "unglaublicher Brutalität" auf Ali S. gestürzt. Dass dieser noch am Leben ist und im Gericht seine Aussage machen konnte, sei simples Glück. Er hätte auch sterben können. Der Grund für seinen Angriff sei nichts anderes als die dunkle Hautfarbe von Ali S. gewesen und blanker Ausländerhass sein einziges Motiv.
Sven Römer


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