Protest in München
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Von Genua nach München

Stationen der neuen Protestbewegungen

Die Zeit steht nicht still, und so konnte auch der tödliche Schuss eines Polizisten auf einen militanten Demonstranten in Genua nicht die sozialen, ökologischen und friedenspolitischen Forderungen zum Schweigen bringen. Aus den vielen Ereignissen soll von den Protesten in Brüssel und München berichtet werden. Vor dem Hintergrund der Bombardierung Afghanistans werden die militärischen Aussagen auf dem Treffen der EU und auf der Sicherheitskonferenz beleuchtet.

Mitte Dezember wurde auf dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel/ Laeken neben den Entscheidungen zur EU-Reform auch über militärische Entwicklungen verhandelt. Auf dem EU-Gipfel wurde die von der Presse hochgelobte Erklärung von Laeken verabschiedet. In der Erklärung von Laeken lobt sich die EU selbst. Es wird behauptet, dass Europa seit mehr als einem halben Jahrhundert in Frieden gelebt habe. Sie blendet damit Konflikte innerhalb des kapitalistischen Staatenbundes, wie sie etwa im Bürgerkrieg in Nordirland zum Ausdruck kommen, als auch die verstärkt nach außen zielenden Militäraktionen, z. B. Irak, Jugoslawien und Afghanistan, aus. Die EU-Vertreter meinen, die Bürger der EU ständen hinter den „großen Zielen“ der EU. In dieser Rhetorik legen sie ihnen Wünsche, Forderungen und Fragen in den Mund. Angeblich fordern die Bürger z. B. „für die Union eine gewichtigere Rolle auf den Gebieten der Justiz und der Sicherheit, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, der Eindämmung der Migrationsströme, der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen aus fernen Konfliktgebieten“. In dem Papier wird angesichts der wachsenden Mitgliederzahl gefragt, ob die EU nicht eine führende Rolle in einer neuen Weltordnung über-nehmen soll. Der Wunsch nach der führenden Rolle findet vor allem im militärischen Bereich seinen Niederschlag. Die schnelle Eingreiftruppe sei einsatzbereit, wurde verlautbart. Bis Ende des nächsten Jahres wollen die Mitgliedstaaten 60000 Soldaten für diese Truppe melden. Im Gipfelbeschluss heißt es dazu, es gehe nicht um die Schaffung einer „europäischen Armee“. Die Soldaten werden deshalb unter nationaler Verantwortung bleiben. Es wurde diskutiert, ob auf den Planungsstab der NATO bei Einsätzen zurückgegriffen werden soll. Dies blockiert bislang Griechenland aufgrund von Streitigkeiten um die Mitspracherechte der türkischen Regierung (NATO- aber kein EU-Mitglied). Die führende Rolle soll scheinbar auch auf logistische Unabhängigkeit von den USA aufgebaut werden. Dies lässt das Satellitennavigationsprojekt Galileo vermuten. Galileo ist ein Konkurrenzprojekt zum GPS der USA. GPS zu nutzen ist kostenlos, jedoch sind Zugriffsbeschränkungen durch das Pentagon möglich. Die Entscheidung für den Projektstarttermin des Satellitennavigationsprojektes Galileo wurde jedoch wegen der zu erwartenden hohen staatlichen Subventionskosten verschoben. Auf britisches Drängen hat der Europäische Rat in den Schlussfolgerungen eine von der belgischen Präsidentschaft vorgeschlagene Passage zum Militäreinsatz in Afghanistan gestrichen. Der gekippte Text sollte festhalten: „Eine etwaige geographische Ausdehnung dieser Operationen kann nicht ohne vorherige Zustimmung der Völkergemeinschaft erfolgen.“ Angeblich stände dies ohnehin nicht zur Diskussion. Angesichts der Konstruktion einer Achse des Bösen von G. W. Bush durch Iran, Irak und Nordkorea, wäre jedoch eine klare Abgrenzung von diesen Eskalationsstrategien wünschenswert gewesen.

Widerstand von Laeken

Während sich in Brüssel die EU-Chefs trafen, fanden europaweit Proteste statt. Der Protest war von sozialen Forderungen geprägt. Es nahmen wieder die unterschiedlichsten Gruppierungen teil: Gewerkschaften, Attac, Anarchisten, Beschäftigte, Schüler, Studenten und viele andere. In der Berichterstattung der bürgerlichen Medien standen die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Mittelpunkt. Umfang und Zielrichtung der Proteste waren dagegen schwer zu finden. Berichte über die große Gewerkschaftsdemonstration am 13.12. suchte man vergeblich. An ihr nahmen laut Attac 85000 Menschen teil. Am 15.12. demonstrierten zwischen 20000 (laut bürgerlichen Medien) und 30000 (laut Attac) Menschen auf der Demonstration „Ein anderes Europa für eine andere Welt“. „Wir sind auf die Straße gegangen, um unsere Forderungen für einen Politikwechsel in der EU zu unterstreichen. Die EU muss endlich entschlossen für eine soziale, ökologische und demokratische Politik eintreten und Globalisierung in diesem Sinn umgestalten“, erklärte Attac-Pressesprecher Felix Kolb. Attac setzt bei der Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme vor allem auf finanzpolitische Mittel. Dazu gehöre, dass die EU Vorreiter bei der Re-Regulierung der Finanzmärkte wird. Wichtige Schritte in diese Richtung seien die Einführung einer europäischen Tobin-Steuer und die Bekämpfung von Steueroasen. Außerdem müsse der schädliche Steuersenkungswettbewerb zwischen den EU-Staaten gestoppt werden. Die europäische Wirtschaftspolitik dürfe nicht weiter auf eine strikte Antiinflations- und Sparpolitik reduziert werden. Den Lippenbekenntnissen der vergangenen Gipfel für einen massiven Abbau der Arbeitslosigkeit müsse die EU endlich wirksame Schritte folgen lassen. „Der Konvent, der in Brüssel eingesetzt werden soll und der die institutionelle Reform der EU weiterführen soll, ersetzt diese Maßnahmen nicht. Ganz unabhängig vom Konvent kann und muss die EU bürgernäher werden, einfach indem sie die Interessen ihrer BürgerInnen ernst nimmt.“, so Kolb weiter. Am zweiten Tag des EU-Gipfels wurde ein Zug von 1000 Demonstranten von der Polizei aufgehalten. Ca. 100 Gewalttäter schleuderten Brandsätze auf Polizisten und warfen Fenster mehrerer Gebäude und Autos ein. Auch zwei Bankgebäude wurden beschädigt. Es gab etwa 70 Festnahmen. Einen Tag nach der Demonstration gegen den EU-Gipfel kamen in der Uni Brüssel tausend Jugendliche aus aller Welt zu einer Konferenz zusammen, um eine „neue internationale Jugend-Kampagneorganisation“ zu gründen. Es soll eine Dachorganisation für eine „internationale antikapitalistische Bewegung“ im Rahmen der Antiglobalisierungsbewegung entstehen.

München

Anfang Februar herrschte in München Ausnahmezustand. Es fand die Sicherheitskonferenz statt. Sie verlief in den vergangenen Jahren eher widerspruchslos. Von ihr gehen keine Entscheidungen aus. Hier treffen sich jedoch Militärstrategen, Außen- und Verteidigungsminister, um sich auszutauschen und neue Ziele abzustecken. Die Terroranschläge vom 11.9.01 bildeten die Begründung für alle Positionen der Redner. Deutlich wurde, dass sich die kapitalistischen Staaten von der UNO als Institution zur friedlichen Konfliktlösung endgültig gelöst haben. Lediglich in einem der dokumentierten Redebeiträge bezog sich ein Inder auf die UNO-Resolution 1373 zum Kampf gegen Terrorismus. Die SPD schrieb noch 1998 in Ihrem Wahlprogramm: „Das globale Gewaltmonopol liegt ausschließlich bei den Vereinten Nationen.“ Davon hat sich die SPD bereits im Jugoslawien-Krieg gelöst, ohne dass sie ihrer neuen Position eine demokratische Legitimation gab. Dagegen bläst Scharping mit seiner Konkurrenz Merkel und Stoiber in ein Horn, wenn er fordert, die EU- „Streitkräfte besser zu harmonisieren, ihre finanziellen Kräfte besser zu poolen und ihre Ausrüstung besser zu standardisieren und auf diese Weise einen effizienteren und ökonomischen Gebrauch von ihren finanziellen Ressourcen zu machen.“ Nicht zuletzt dem Druck der Proteste ist es zu verdanken, das zunehmend soziale Fragen in den Reden auftauchen, sich gar Politprominenz bei den Protestbewegungen meldet. So lässt Scharping verlauten: „...,ohne Überwindung von Tiefenspaltungen auf unserem Globus, ohne eine zufriedenstellende ökonomische und soziale Perspektive in der südlichen Hemisphäre der Erde [...] werden wir globale Stabilität auf Dauer nicht erreichen können.“ Selbst der Sicherheitsguru Stoiber teilt mit, man müsse sich bemühen, um „einvernehmliche und gerechte Regelungen für die Nutzung kostbarer natürlicher Ressourcen, wie z.B. Wasser, zu erreichen.“ Ob die in der Ideologie des Neoliberalismus gefangenen Politiker jedoch wirksame Konzepte entwickeln können bleibt zweifelhaft. So sind denn die verkündeten Positionen zur Militärpolitik der CDU wesentlich handfester: Stoiber und Merkel forderten die Erhöhung der finanziellen Ausgaben beim Militär und dem Europäischen Kriminalamt Europol. Ein intensiverer Informationsaustausch sei nötig. Merkel schlug dazu „einen eigenen europäischen Geheimdienst“ und ein „Abkommen zwischen Europol und dem FBI“ vor, „das den Austausch von Daten und die Zusammenarbeit im Kampf gegen das internationale Verbrechen, Geldwäsche und den internationalen Terrorismus verbindlich regelt“. Für Merkel stellt der Parlamentsvorbehalt, nach dem Kriegseinsätze vom Bundestag beschlossen werden müssen, ein „Hindernis für reibungslose und schnelle Reaktionen auf sicherheitspolitische Herausforderungen“ dar. „Ein ‘Parlamentsbeteiligungsgesetz’ über die Beschlussfassung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr sollte zum Ziel haben, der Regierung mehr Flexibilität sowie schnellere Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, ohne dabei die Rechte des Parlaments entscheidend einzuschränken“, so Merkel. Ab wo Merkel „entscheidende“ Einschränkungen sieht bleibt unklar. Feststehen die Einschränkungen. Das alles dient natürlich vornehmlich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Und wer weiß, ob sich nicht Stoiber angesichts der friedlichen Demonstrationen in München gezwungen sah zu fordern: „Wir brauchen die Wehrpflichtigen und die Reservisten aber auch, um in Deutschland Bedrohungen und Risiken abzuwehren. Ich fordere deshalb eine Änderung des Grundgesetzes, um die Bundeswehr zum Objektschutz im Inneren einzusetzen können, wenn die Polizeikräfte hierfür nicht mehr ausreichen.“

Proteste in München

Die reichten in München ganz offensichtlich nicht aus. Trotz des Demonstrationsverbotes ließen es sich nach Veranstalterangaben etwa 10000 Menschen nicht nehmen ihre Meinung kund zu tun. Die Polizei entzog dabei ca. 700 Menschen die Freiheit. Eine 70-jährige Friedensaktivistin wurde von der Polizei überrannt und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. In der Abschlusserklärung des Bündnisses hieß es dazu: „Das von den Stadtoberen konstruierte Horrorszenario von Tausenden gewaltbereiter Chaoten hat sich am Wochenende in weit überzogenen brutalen Übergriffen der Einsatzkräfte ausgedrückt.“ Die Proteste gegen die Sicherheitskonferenz knüpften an die Bewegung in Genua an und richteten sich gegen die neuen Entwicklungen zu einer aggressiven Innen- und Außenpolitik. Gleichzeitig fand in Porto Alegre (Brasilien) der Weltsozialgipfel mit 70000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen und in New York (USA) das World Economic Forum (WEF) mit 7000-25000 (unterschiedliche Schätzungen) Protestierenden statt. Es ist etwas in Bewegung gekommen.

Zukunft

Das Weltsozialforum hat zahlreiche Termine für global organisierten Widerstand festgehalten. Darunter am 31. Mai der internationale Aktionstag gegen Militarismus und für Frieden. Wir Likedeeler wollen wieder darüber berichten und hoffen auch ab und zu in Greifswald etwas davon zu hören.

Frank Effenberger

Quellen:
EU: http://europa.eu.int/
Attac: www.attac-netzwerk.de
Münchner Sicherheitskonferenz: www.securityconference.de
Widerstand gegen die Sicherheitskonferenz: www.buko24.de/nato.html
Fotos: arbeiterfotografie, euromarches, indymedia, krasse zeiten


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