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„Geld ist geprägte Freiheit“ (Verfassungsrichter Kirchhof in einem Urteil zur Währungsunion)

Und Gutscheine sind gedruckte Unfreiheit - Umtauschinitiative in Greifswald gegründet

Rassismus und Ausgrenzung gehören zum Alltag von Flüchtlingen in ganz Europa. Die Einwanderer kommen in der Hoffnung auf ein Leben ohne Verfolgung, in besseren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Die europäischen Politiker behaupten, Europa würde durch die illegale Einreise von MigrantInnen bedroht und die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge würden Europa in die wirtschaftliche Krise stürzen. Schön säuberlich trennen deutsche Politiker in der Greencard-Diskussion zwischen nützlichen, d.h. für die deutsche Wirtschaft profitablen, und unnützen MigrantInnen, die dem Staat angeblich auf der Tasche lägen. Scheinbar folgerichtig gehören letztere in ihre Herkunftsländer zurück. So schnell wie in Spanien geht die Abschiebung in Deutschland jedoch meistens nicht – zum Glück. Die Anerkennungsraten von politischen Flüchtlingen schwanken abhängig vom jeweiligen Herkunftsland. So bekommen z.B. die meisten Iraki derzeit Asyl, weil die bundesdeutsche Regierung die Diktatur von Sadam Hussein ablehnt. Anders sieht es für Flüchtlinge aus, die unter nichtstaatlichen Repressionen leiden. Geht eine politische Verfolgung nämlich nicht direkt von der jeweiligen offiziellen Regierung des Landes aus, wird diese nicht als Asylgrund akzeptiert. Nun ist es kein Geheimnis, daß in vielen Ländern bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und Verfolgung und Bedrohung nicht immer eindeutig dem Staat zuzuordnen sind. Andererseits scheinen die Asylgesetze auszublenden, daß soziale Not genauso wie politische Repression das Leben von Menschen bedroht (z.B. Hungersnöte). Nach ihrer Ankunft werden die Flüchtlinge auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Dort kommen sie in die jeweilige ZAST (Zentrale Aufnahmestelle). In M-V befindet sich die ZAST in Horst. Zur Zeit werden in M-V vor allem Menschen aus dem Irak, Togo, Armenien und den Balkanländern aufgenommen. Von der ZAST geht es ins Asylbewerberheim. Wer Glück hat, bleibt nur wenige Monate, bis die Entscheidung über den Asylantrag getroffen wird. Bei anderen dauert es Jahre. Die Flüchtlinge müssen in Sammellagern leben. Jedem Flüchtling stehen rechtlich 6 m² als Wohnfläche zur Verfügung, soviel wie das Tierschutzgesetz Hunden als Mindestfläche für den Zwinger zugesteht. Leben auf engstem Raum führt unweigerlich zu sozialen Spannungen und Konflikten. Viele Flüchtlinge sind durch die Erlebnisse in ihrer Heimat traumatisiert. Die erdrückenden Bedingungen in den Heimen und die Isolation dort verstärken oft diese Traumata. Das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) schreibt die Residenzpflicht fest. Damit wird die Bewegungsfreiheit der AsylbewerberInnen eingeschränkt. Für AsylbewerberInnen in M-V heißt das, den Land- oder Stadtkreis nur mit einer Genehmigung von der Ausländerbehörde verlassen zu dürfen und dies maximal einmal im Monat – bei angegebenem Reisegrund. Die Ausländerbehörden in Greifswald oder im Landkreis Ostvorpommern erteilen diese Genehmigungen relativ problemlos. Aber schon allein die zwingende Notwendigkeit, vor jedem Besuch oder jeder Einkaufsfahrt außerhalb des festgelegten Kreises erst zur Behörde gehen zu müssen, schränkt die persönliche Freiheit ein. So werden die Betroffenen unmündig und abhängig gemacht. Wird einE AsylbewerberIn ohne diese Genehmigung außerhalb des zugewiesenen Landkreises angetroffen, muß er/sie mit Geldstrafen bzw. mit Haft rechnen. Die Personenkontrollen wurden in den letzten Jahren im gesamten Bundesgebiet verschärft. Ein Beispiel dafür ist die Erweiterung des Befugnisbereichs des BGS von der 30 km - Zone an der bundesdeutschen Grenze auf den innerdeutschen Bahnverkehr.

Flüchtlinge leben unter dem Existenzminimum

Zum System restriktiver Maßnahmen gegenüber Flüchtlingen gehört auch das seit 1993 gültige Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Es gilt für Asylsuchende drei Jahre lang und für geduldete Flüchtlinge. Vom AsylbLG Betroffene erhalten etwa 25% weniger Sozialleistungen als Sozialhilfeempfänger, in bestimmten Fällen sogar noch weniger. Somit wurde für Flüchtlinge ein neues Existenzminimum definiert, welches deutlich unter dem allgemein gültigen liegt. Nur ein geringer Betrag davon (80 DM für Erwachsene, 40 DM für Kinder) wird in bar ausgezahlt. Der größte Teil der zu gewährleistenden Lebenssicherung sind sogenannte Sachleistungen. In M-V werden die Sachleistungen in Form von Wertgutscheinen ausgegeben. Mit diesen können die Betroffenen Lebensmittel, Dinge des persönlichen Bedarfs und Kleidung nur in bestimmten Geschäften einkaufen. Einige Produkte dürfen nicht gekauft werden (z.B. eine Reihe von Genußmitteln). Die BRD hat ein System des institutionellen Rassismus geschaffen. Sie läßt sich die Maßnahmen zur Gewährleistung der Nicht - Integration von Flüchtlingen einiges kosten. Lagerunterbringung und Sachleistungsprinzip sind durch den Verwaltungsaufwand viel teurer als dezentrale Unterbringung und Zahlung einer regulären Sozialhilfe für die Betroffenen. Die Gesetze sind diskriminierend. Wenn ein Asylbewerber sein Recht auf Menschsein verwirklichen will, birgt dies den Gesetzesverstoß schon in sich. Die Liste der staatlichen Einschränkungen ließe sich an dieser Stelle fortsetzen und mit Beispielen vertiefen. Doch wichtig ist die Frage: Wo können wir als Einzelpersonen oder Gruppen die Flüchtlinge direkt unterstützen und gleichzeitig wirksamen Druck auf die verantwortlichen Stellen ausüben? Die Ansätze sind so verschieden wie die Repressionen es sind. The Voice, eine Organisation afrikanischer Flüchtlinge, wirkt mit der Kampagne gegen die Residenzpflicht aufklärend. Mit der offenen Mißachtung des Residenzpflichtgesetzes zeigt die Organisation beispielhaft, daß Flüchtlinge sich wehren können. Eine andere Kampagne nennt sich „deportation class“. Sie richtet sich mit öffentlichen Aktionen und direktem Druck auf Fluggesellschaften sowie Flughäfen gegen Abschiebungen. Eine Form der täglichen Solidarität mit MigrantInnen ist die Idee, Wertgutscheine für Lebensmittel in Bargeld umzutauschen. In einigen Orten funktioniert dieser Tausch schon lange und mit vielen Beteiligten.

Was bedeuten die Gutscheine für den Flüchtling im Alltag?

Herr G. aus dem Irak sagt dazu, daß er sich hier wie ein Mensch zweiter Klasse fühlt. Die Sonderrolle im Geschäft ist ihm peinlich. Er fühlt sich leistungsfähig, möchte seinen Lebensunterhalt, so wie er es zu Hause tat, selbst verdienen. Das Arbeitsverbot zwingt ihn, so sagt er, Almosen des Staates anzunehmen. Herr G. wünschtsich, endlich wieder für sich selbst verantwortlich zu sein. Neben seiner Furcht um die Familie zu Hause, leidet er unter der Isolation vom normalen Leben in der Stadt. Seine einzigen Kontakte zu Deutschen hat er seit kurzem im wöchentlichen Deutschkurs. Bei der Ausländerbeauftragten bieten junge GreifswalderInnen kostenlosen Deutschunterricht für AsylbewerberInnen an. Viele empfinden ähnlich. Täglich erleben sie durch die Gutscheine Warteschlangen, Unmut und Streß an der Kasse – bis hin zu Anfeindungen und rassistischen Ausfällen (siehe Kasten). Durch die Beschränkung auf bestimmte Geschäfte und Produkte werden die Flüchtlinge bevormundet. Eine weitere Folge des Sachleistungsprinzips ist die gravierende Einschränkung des Rechtsschutzes, da kein Geld für Rechtsanwälte zur Verfügung steht. Flüchtlinge brauchen Bargeld für ein gleichberechtigtes Leben in Deutschland. Geld ist nötig im Asylverfahren, für Busfahrkarten, Briefmarken, Telefongespräche oder auch einfach, um mal ein Eis für die Kinder zu kaufen. Die kleine praktische Solidarität, nämlich Flüchtlinge durch den Gutscheintausch mit etwas mehr Bargeld auszustatten, liegt in unserer Hand. Seit Juli treffen sich Menschen, die einen breit angelegten Umtausch von Gutscheinen in Bargeld initiieren wollen. Bei dem Tausch können auch persönliche Kontakte entstehen. Viel größer als die finanziellen Einschränkungen wiegt für viele Flüchtlinge die ständige Atmosphäre der Ausgrenzung, das Gefühl nicht gewollt zu sein, fremd zu sein. Im Umtauschen liegt die Chance des Austauschens.

Wie kann der Tausch funktionieren?

Gutscheine sollen gegen Bargeld regelmäßig im Internationalen Kultur- und Wohnprojekt (IKUWO) in der Goethestr.1 getauscht werden. Du erhältst Gutscheine und Vollmacht von einem Flüchtling und gibst Bargeld im Gutscheinwert ab. Mit Gutschein und einer Vollmacht kannst du in den in einer Liste aufgeführten Geschäften einkaufen. Zu beachten ist, daß die Gutscheine nur 6 Wochen ab Ausstellungsdatum gültig sind. Die Geschäfte dürfen maximal 10% Wechselgeld auf die Gutscheine herausgeben. Das Café im IKUWO bietet an den Tauschabenden Raum und Zeit für Begegnung. Die Initiative soll erst starten, wenn genügend Tauschwillige vorhanden sind und den Flüchtlingen ein ausreichend verläßliches Angebot gemacht werden kann. Dazu muß die Initiative einen Überblick darüber erhalten, wie viel Tauschwillige es bereits gibt. Meldet Euch bitte bei der Umtauschinitiative und gebt dort eine Selbstverpflichtungserklärung ab, wenn ihr TauscherInnen werden wollt. Weitere Informationsmaterialien gibt es über das IKUWO (Sammlung von Presseartikeln zu Umtauschinitiativen, Infoblätter zur Situation von Flüchtlingen, Liste der Geschäfte in Greifswald, in denen mit Gutscheinen eingekauft werden kann usw.). Außerdem ist die e-mail-Adresse ein Rundmailverteiler, in den ihr euch eintragen könnt. Dort erfahrt ihr auch die nächsten Termine für die Treffen der Vorbereitungsgruppe und Neuigkeiten. Die Initiative freut sich über jeden oder jede, der oder die Lust hat mitzu arbeiten. Um beginnen zu können, benötigt die Initiative nicht nur Umtauschwillige, sondern auch Geld (für weiteres Informationsmaterial, Bargeld, um Gutscheinwerte vorstrecken zu können). Deshalb Spenden bitte auf folgendes Konto: IKUWO e.V. Stichwort: Umtausch Initiative Sparkasse Vorpommern BLZ 150 50 500 Konto-Nr. 232 006 750 Der erste Umtausch wird mit einem großen Fest im IKUWO beginnen. Doch bis dahin heißt es Kontakte in den Heimen zu intensivieren. Die InitiatorInnen möchten gleichberechtigt mit den Flüchtlingen arbeiten. Dazu gehört es deren Vorstellungen zu erfragen und gemeinsam Positionen zu diskutieren. Klar bleibt, daß der Wertgutscheintausch nur symptomatische Behandlung einer kranken Flüchtlingspolitik ist. Doch ist er eine Möglichkeit der praktischen Solidarität mit Flüchtlingen. Alles in allem eine hoffnungsvolle Entwicklung für unsere Region, die bundesweit mit Fremdenfeindlichkeit Schlagzeilen machte.

Petra Jahn

Umtauschinitiative c/o IKUWO e.V. Goethestr. 1 17489 Greifswald Tel: 03834-566150 03834-894660 e-mail: umtausch@listi.jpberlin.de

Info:

An der Kasse

Das schlimmste ist vielleicht, dass es mit Gutscheinen nicht möglich ist, unauffällig zu sein, denn an der Kasse wird es immer deutlich, welchen Status man in diesem Land hat - wenn man mit Gutscheinen bezahlen muss, dann steht einem förmlich auf der Stirn geschrieben, dass man hier unerwünscht ist. Jeder sieht, dass man nur geduldet ist - kein Recht hat. Immer wieder kommt es zu Situationen, in denen die Abrechnung der Gutscheine den Kassenablauf verzögert, weil die Kassierer lauthals miteinander darüber debattieren, ob sie „diese Scheine“ überhaupt annehmen dürfen, wie die abgebucht werden, dass das „Asylanten“ seien ... die kriegen doch diese Scheine ... nein, 8 Mark darfst du nicht raus geben ... ... und dann das erste Geschrei von hinten: wieso dauert es denn so lange - ach, das sind wieder die „Asylanten“ die eine Extrawurst kriegen ... - Mit einem Gutschein steht man schwitzend in der Reihe an der Kasse, hofft sich nicht verrechnet zu haben, hofft, dass der Kassierer bereit ist, überhaupt Wechselgeld heraus zu geben und hofft, dass er oder sie nicht durch das halbe Geschäft brüllt, ob das denn alles so in Ordnung sei. Und man hofft, dass der Verkäufer keine Diskussion darüber anfängt, dass die Pralinen aber ein Luxusartikel seien, und dass das bestimmt nicht erlaubt sei - aber naja, man will mal nicht so sein ... doch man muss sich schon wundern, warum diese „Asylbewerber“ sich so was überhaupt leisten können ... naja, man hört ja so einiges darüber, wie die hier wie die „Maden im Speck“ leben würden. Und man steht an der Kasse und hofft, dass heute niemand dabei ist, der den Gutschein zum Anlass nimmt, all diesen Dreck über einen auszuschütten.

aus: „Umtausch - Broschüre gegen Ausgrenzung und Entrechtung von Flüchtlingen“


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