L.U.G.* oder die Toxikologie des Dr. Pechmann

(*LUG - Lingua universitatis gryphiswaldensis)

„Worte können sein wie winzige Arsendosen, und nach einiger Zeit ist die Wirkung da“, schrieb der Philologe Victor Klemperer in seinem berühmten Buch „LTI“ über die Sprache des Dritten Reiches. Worte wie Gift in geringster Konzentration, aufgelöst und unsichtbar in der sie versteckenden Umgebung. Wie nahe diese Umschreibung sprachlicher Bosheit den Erklärungsversuchen des Pressesprechers der Greifswalder Universität kommt, dürfte er selbst gar nicht bemerkt haben. In einer seiner Pressemitteilungen beklagt Dr. von Pechmann: „Ein einziges unter tausenden Worten“ hätte zu vehementen Angriffen gegen seine Person geführt. Ein einziges Wort, eine Winzigkeit, verschwindend in der Masse der anderen Wörter, kaum feststellbar, nicht schmeckbar ...

Bisher hatte der Stuhl des Pressesprechers der Universität Greifswald, Edmund von Pechmann alle Skandale um diesen und dessen Äußerungen in der Öffentlichkeit überstanden. Derer gab es in den letzten Jahren einige, die zum unverständlichen Kopfschütteln von Universitätsangehörigen über den verantwortlichen Redakteur des offiziellen „Journal“ der Universität führten.

Bereits vor einigen Jahren, studentische Selbstverwaltung und freie studentische Publikationen standen noch am Anfang, gab es regelmäßige Auseinandersetzungen zwischen AStA, der damaligen Studierendenzeitschrift „Crash“ und Pechmann, in die der frühere Rektor Kohler immer wieder schlichtend eingreifen mußte. Zuletzt sorgte eine Äußerung des Univertreters im Herbst 1998 nicht nur in Greifswald für Empörung. Dem Bild der Uni-Stadt, eh wegen rechtsradikalen Strukturen und fremdenfeindlichen Übergriffen bereits des öfteren in den Schlagzeilen, fügte Pechmann ein neues, häßliches Mosaiksteinchen hinzu. Der Greifswalder Verein „Rosa Greif e.V.“ hatte ein „Schwul-Lesbisches-Filmfest“ organisiert und dafür Einladungen an offizielle Stellen der Stadt und der Universität, natürlich auch an deren Pressestelle verschickt. Pechmanns Antwort kam prompt. Er faxte die Einladung mit dem handschriftlichen Vermerk: Diese Sexualität in die Öffentlichkeit zu ziehen, finde er unappetitlich, an den „Rosa Greif e.V.“ zurück. Nach Intervention beim Rektor Kohler erklärte dieser, Pechmanns Äußerungen seien in diesem Fall als Privatäußerungen und nicht als Äußerungen der Universität zu verstehen. Konsequenzen für Pechmann? Keine!

Auch wenn seine neue Äußerung im Uni-Journal sein zurückgesendetes Fax an „Rosa Greif e.V.“ an Unverschämtheit noch weit übertrifft, war klar: persönliche Konsequenzen für den offiziellen Vertreter der Universität sind eher unwahrscheinlich. Im Ende September in der Mensa ausgelegten Journal 5/01 („Hinausgeber: Der Rektor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität“; übrigens Victor Klemperer lehrte nach dem Krieg für einige Zeit an der Greifswalder Universität) ist in einem Artikel über das Studentenwerk Greifswald und seine neu erbauten Heime in der Fleischerwiese zu lesen: „Vorbei die Zeit, da Männlein wie Weiblein in die auschwitzartige Duschbaracke über die Straße huschten [...].“ Nicht nur uns verschlug es über die Dreistigkeit dieses Vergleiches mit den Todeskammern in Auschwitz die Sprache. Ein Student der Universität überwand seine Sprachlosigkeit und rief den Autor dieser Zeilen, Herrn Pechmann an und wollte wissen, ob er weiter zu diesem Vergleich stehe. Pressesprecher Pechmann verteidigte seine Feststellung und fragte, ob der Anrufer überhaupt die alten Duschen in der Fleischerwiese kenne. Seiner Ansicht nach sahen sie eindeutig „wie in Auschwitz aus“. Der Einwand, daß das, was er mit „Duschen“ in Auschwitz meine, nie welche waren und auch nie als Duschen funktionierten, sondern nur dazu dienten, Millionen von Menschen zu töten und er mit diesem Vergleich die Todesfunktion dieser Räume negiere und Millionen hingemordete Menschen und Überlebende der Todeslager, die auf der Rampe von Auschwitz von ihren Angehörigen für immer getrennt wurden, verhöhnen würde, ließ ihn kalt. „Schreiben sie doch einen Leserbrief“ hieß es lapidar. Ihm sei es um die Verhöhnung der DDR-Diktatur gegangen, mit der man sich ja hier im Osten sowieso unbeliebt machen würde. Diktatur sei eh gleich Diktatur. Das III. Reich hatte „Duschen in Auschwitz“, in der DDR gab es eben Duschen wie in Auschwitz.

Kopfschütteln. Wortloses Kopfschütteln. Eigentlich ist dies die treffendste der Reaktionen, die einem zu den akademischen Peinlichkeiten rund um den Pressesprecher der Universität einfallen sollten. Betrachtet mensch mit einem gewissen zeitlichen Abstand das Verhalten der Universität und die Konsequenzen, die sie aus den Pechmannschen Äußerungen gezogen hat, ist wortlose Scham das dominierende Gefühl. Scham über gelehrte Feigheit und spießigen Akademikerprovinzialismus. Professoren, die sich hinter ihren Büchern verstecken und eine vorpommersche Alma Mater in historischer Kontinuität: Konservativ und kleingeistig. Rektor Metelmann hat seinen Pressesprecher rehabilitiert, die Sache ist für die Uni erledigt. Bei allem Geschwätz über Umstrukturierung und Neuorganisation: Nichts wird sich ändern, alles bleibt. Pechmann hat wieder mal bewiesen, wieviel er sich erlauben kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Das ist der Stand der Dinge. Dabei sah es zuerst gar nicht so günstig für ihn aus. Der Sturm der Entrüstung, der über ihm aufzog, war gewaltig. Anrufe, e-mails, Leserbriefe und Beiträge lokaler und überregionaler Medien schienen Pechmanns Stuhl förmlich umzupusten. In allen drei Nordzeitungen (OZ, SVZ, NK), der Berliner Zeitung, der jungen welt, bei spiegel-online.de ja sogar in der Bild-Zeitung wurde sein Auschwitzvergleich erwähnt. Auch der Rektor nahm große Worte in den Mund. Von „maßloser Erschütterung“, „Abartigkeit“ und „Geschmacklosigkeit“ auf die mit Sicherheit Konsequenzen folgen werden, war die Rede. Eine Entschuldigung jagte die nächste (selbst Pechmann zeigte sich reuig, nachdem er noch erste Vorwürfe gewohnt arrogant „Schreiben sie doch einen Leserbrief“ abgetan hatte) und die in der Luft liegende, nicht ausgesprochene Konsequenz schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Jeder Pressesprecher in irgendeinem Unternehmen hätte sich nach so einer Äußerung am nächsten Tag seine Papiere aus dem Personalbüro abholen können. Aber nicht doch, in Greifswald hat mensch da viel bessere Lösungen. Erst mal großes Tamtam, dann eine Weile aussitzen und früher oder später ist alles wieder wie gehabt. Besonders peinlich hierbei: der Greifswalder AStA. Man sein zwar „mehr als verbittert darüber“ (Frage 1: Was ist „mehr als verbittert“?), aber Konsequenzen? Nicht nötig! Schließlich hätte der Pressesprecher ja bei vielen Anlässen seine „einzigartige Originalität“ (Frage 2: Diesmal auch?) bewiesen. Thema erledigt. Doch warum zerplatzten die großen Worte der Uni wieder wie Seifenblasen? Angst vor der eigenen Courage, gut gerührter Professorenklüngel? Vielleicht ließ der Wind, der vom Spiegel aus in eine andere Richtung wehte, die Spectabilitäten noch schnell das Ruder herumreißen. Auf den Uni-Seiten von spiegel-online.de entwarf ein Redakteur eine schöne Seifenoper, in der er die Konflikte um den Pressesprecher zum Streit zwischen dem „unbequemen aber schillernden Multitalent“ und verbitterten Ostalgikern umdeutete, denen der Kulturkämpfer Pechmann ihr Bild vom schönen DDR-Paradies zerstören will. Der Holocaust sei ihnen eigentlich egal, sie seien nur froh, eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben, alte Rechnungen mit dem „Besser-Wessi“ zu begleichen und ihn „fertig zu machen“. Anscheinend ließ dies die Unileitung nicht ganz unbeeindruckt, denn die Quasi-Suspendierung Pechmanns wurde durch den Rektor nach einigen Tagen wieder aufgehoben. Wie es der Universität gelingt, sich von den eigenen scharfen Worten der Vortage zu distanzieren, ist wahrlich meisterlich. In der Pressemitteilung über die die Rehabilitierung des Pressestellenleisters, übrigens mit Pechmann selbst als Absender, erklärt der Rektor Pechmanns Entschuldigung (welche eigentlich?) für akzeptiert und die Amtsenthebung für aufgehoben. Die Prüfung und Klärung des Sachverhalts (was auch immer da zu klären war) hätte ergeben, daß die Unterstellung rechtsradikalen Gedankenguts nicht gerechtfertigt sei. Wo allerdings ernsthaft behauptet wurde, daß der Pressesprecher ein Nazi sei, erwähnt die Uni nicht. Kann sie auch nicht. In keinem der veröffentlichten Leserbriefe oder Artikel wurde diese Meinung vertreten. Mit einem Konstrukt alle Vorwürfe als unsachlich bewertet und elegant vom Tisch gewischt. Eine echte Meisterleistung! Und dass die Uni nicht zwischen sachlicher Kritik und dümmlich-pubertärer Trittbrettfahrer-Mail unterscheiden kann, und letztere offenbar als Beispiel für die Korrespondenz zu diesem Thema aufführt, ist nicht nur schlechter Stil. Der Pressemitteilung war eine an Pechmann geschickte anonyme e-mail bestehend aus drei Zeilen beigefügt, in der von „faschistoidem Arschloch“ die Rede war.

Resümee: Die Universität hat ihrem Ruf als Anstalt pommersch-preußischer Kleingeistigkeit, deren Fähnchen mutig mit jedem Lüftchen mitflattert, wieder alle Ehre gemacht. Sie muß fortan mit dem Vorwurf leben, einen Pressesprecher zu beschäftigen, der (auch jetzt noch) kein Problem darin sieht, millionenfach benutzte Tötungsmaschinen durch einen Vergleich mit banalen Duschen zu verharmlosen (übrigens lautet die Standardlüge diverser Holocaustleugner, die Gaskammern in Auschwitz seien nur Duschen gewesen). Sie muß auch mit dem Vorwurf leben, eine Professorenschaft zu haben, die es nicht nötig hatte, einer Verhöhnung, Entgleisung oder wie mensch es auch immer bezeichnen mag und einer konsequenzlosen Rehabilitierung mit so gut wie keinem Wort zu widersprechen. Und es wird an dieser Universität Menschen geben, die sich ihrer Hochschule schämen werden, solange jemand wie Pechmann sie präsentiert. Bleibt nur zu hoffen, daß diese zum Himmel stinkende Geschichte den Verantwortlichen bei nächstbester Gelegenheit, zum Beispiel am 27. Januar, wenn wieder für einen Tag „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ auf dem Lehrplan steht und die Honoratioren ihre Betroffenheitspappnase aus dem Emotionsfundus kramen, unter selbige gehalten wird. Sven Römer


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