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Ein Artikel aus der "Zeit"
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Bier und Wichs - sonst nix!?

Was uns studentische Verbindungen in den letzten 120 Jahren so zu sagen hatten.

In Greifswald wird mal wieder über Burschenschaften bzw. Studentenverbindungen diskutiert. Mit dem vergangenen Wintersemester haben die Verbindungsstudenten mit Band und Mütze wieder mit pompösen Cocktailpartys und Sektempfängen ihre verzweifelten Rekrutierungsaktionen begonnen, während sich sogar das sonst so politisch korrekte StudentInnenparlament der Universität aufgrund der Ereignisse in der ErstsemesterInnen-Woche, an das heiße Thema frechen nationalistischen Auftretens von Verbindungsvertretern herantraut. In der Einführungswoche hat- ten einige Tutoren, die Verbindungsmitglieder sind (das war die überlegene Mehrheit der BWL- und Jura-Tutoren) am Eingang der Mensa die unschuldigen Erstis überreden wollen, doch den langweiligen Begrüßungsabend der Erstsemester-AG und das ganze Programm der Woche ausfallen zu lassen, um gleich in die Verbindungshäuser zu ziehen und den üblichen Burschenschaftsredereien zu lauschen ... Sicher nicht das erste, auch nicht das letzte Mal, daß Greifswalder Burschenschaften versuchen, ihr oft schwarzbraun bekleckertes Image aufzupolieren. Wir denken, daß es sehr wichtig ist, Studenten und besonders Leuten, die sich gerade an der Uni eingeschrieben haben, mal etwas über Burschenschaften und ihr (Un)Wesen in Greifswald und an anderen Orten zu berichten. Nebulöse Geschichten und Vorurteile sind sicher vielen bekannt, doch welche Geisteshaltung steckt hinter den bunten Zettelchen in der Mensa mit Einladung zu Stammtisch und Cocktailparty? Um dem Totschlagargument der Verbindungen, mensch würde sich gar nicht selbst mit ihnen auseinandersetzen, und bescheid weiß nur, wer sich selbst mal mit ihnen unter den Tisch gesoffen hat, keinen Halt zu geben, werden wir an dieser Stelle Menschen zu Wort kommen lassen, die entweder selbst Burschenschaftler sind oder mit diesen persönliche Erfahrungen gemacht haben. Also eher "Zeitzeugen". Hierzu haben wir in diversen Publikationen ein wenig geschmökert, unter anderem auch in der damaligen StudentInnenzeitung "crash". Laßt Euch überraschen. Auf den bunten Blättchen und im Erstsemester-Moritz stellen sich die Verbindungen immer ausgiebig vor. Von bis ins letzte Jahrhundert zurückreichender Tradition und Jahren des Verbots unter den Nationalsozialisten und in der ehemaligen DDR ist dort die Rede. Doch wie diese Traditionen denn nun genauer aussehen wird verschwiegen. In der Festrede Diederich von Hahns auf der Gründungsversammlung des Kyffhäuserverbandes als Dachorganisation der Vereine deutscher Studenten vom 6. August 1881 heißt es:

Es gilt zu arbeiten für die innere Gestaltung unseres Volkes und Vaterlandes. Wir haben ein Reich und lassen Gut und Blut dafür. Vieles in ihm ist noch mangelhaft. Judentum, Franzosentum, wohin wir blicken. Es ist die Aufgabe der christlich- germanischen Jugend das auszurotten, denn uns gehört die Zukunft.

1896 stellt die Deutsche Burschenschaft, damals Allgemeiner Deputierten- Konvent genannt, auf dem Eisenacher Burschentag offiziell fest:

... daß auch in Zukunft die Burschenschaften in ihrer Ablehnung gegen die Aufnahme jüdischer Studierender einmütig zusammenstehen.

24 Jahre später verabschiedet der Burschentag der Deutschen Burschenschaft 1920 ebenfalls in Eisenach die berüchtigten "Eisenacher Beschlüsse". In dem Beschluß heißt es:

1. Die Burschenschaft steht auf dem Rassenstandpunkt. Deshalb dürfen nur Studenten arischer Abstammung, die sich offen zum Deutschtum bekennen, in die Burschenschaft aufgenommen werden. 2. Der Burschentag verpflichtet die einzelnen Burschenschaften, ihre Mitglieder so zu erziehen, daß die Heirat mit einem jüdischen oder farbigen Weib ausgeschlossen ist, oder, daß bei solcher Heirat der Betreffende ausscheidet.

Zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 schrieb der stellvertretende Führer der Deutschen Burschenschaft Hederich jubelnd in den "Burschenschaftlichen Blättern":

Der Führer der nationalsozialistischen Bewegung ist heute Führer des deutschen Volkes. In seinem Kampfe voll Leidenschaft, voll Blut und Tränen, in dem das Schicksal ihn formte und schmiedete, bewährte sich die Größe dieses Mannes, der heute mit heißem Herzen an die Aufgabe heran geht, unser Volk - uns selbst zu formen und das Reich neu zu bauen. Komme was kommen mag - wir folgen ihm. ... Mit der Härte und Entschlossenheit, die unentwegter Kampf um Volk und Reich einer Gemeinschaft verleiht, ergreifen wir heute die ausgestreckte Rechte des Kanzlers und geloben ihm treue Gefolgschaft auf seinem schweren Weg aus freier Bestimmung und aus einer Geistes- und Willensgemeinschaft heraus, die uns mit der von ihm geschaffenen Bewegung verbindet. ...

Wohlgemerkt ein Zitat nicht etwa eines Repräsentanten des "Nationalsozialistischen deutschen Studentenbundes" sondern des stellvertretenden Führers der Deutschen Burschenschaft. Klar, daß sich unter den Corporierten mit solcher Geisteshaltung leicht rege Aktivisten der auch in Greifswald stattfindenden Bücherverbrennung fanden. Unter der Überschrift: "Undeutsches Schrifttum lodert zum Himmel auf" heißt es in der Greifswalder Zeitung vom 11. Mai 1933:

Um den im Abendschatten liegenden Marktplatz versammelte sich gestern eine vielköpfige Menschenmenge, um Zeuge zu sein von der Verbrennung der kommunistischen Symbole und volkszersetzenden Schriften und Bücher der "Literaten" der letzten 14 Jahre. Polizei und SA bildeten die Absperrkette, studentische Vereine und Korporationen, der Stahlhelm in geschlossener Front und SA nahmen Aufstellung im Innenraum des Marktplatzes. Zu Beginn der Aktion erscholl das alte Studentenkampflied "Burschen heraus" über den Markt und hallte von den Wänden der Häuser wider.

Weiter wird vom Ablauf der als Propagandashow inszenierten Verbrennung berichtet. Gerne und regelmäßig finden sich in den Selbstvorstellungen der Burschenschaften auch Hinweise auf ein "Verbot" unter den Nationalsozialisten. Da ist von Unterdrückung die Rede und davon, daß ein Burschenschaftsleben unter den Nazis nicht mehr möglich war. Die meisten Corps und Turnerschaften geben jedoch als "Verbots"jahr 1935 oder sogar erst 1937 an. Fakt ist, daß Burschenschaften, so wie es sie in der Weimarer Republik gab, einige Jahre nach der Machtergreifung nicht mehr in Deutschland agierten. Doch von einem "Verbot" zu sprechen verzerrt die Geschichte stark. Die Auflösungen beziehungsweise Übertritte in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, die vielleicht auch manchmal auf Druck von oben durchgesetzt wurden, geschahen mit Sicherheit nicht aus politisch-oppositionellen Gründen oder politischen Differenzen, so wie manche Burschenschaft mit dem Wort "Verbot" es dem Leser zu implizieren versucht. Eher sind die Auflösungen und Übertritte Ausdruck des generellen Strebens der Nazis nach Gleichschaltung und bedingungsloser Homogenität. Ein interessanter Artikel dazu findet sich ebenfalls in der Greifswalder Zeitung des Jahres '33. Er beschreibt anschaulich, wie fürchterlich gerade schlagende Verbindungen von den neuen Machthabern "unterdrückt" wurden. Unter der Überschrift

Die erste Mensur im neuen nationalen Greifswald - Der Schlägerklang, er tönt so hoch und hehr ...

heißt es:

Mit einer schlichten Feier hat der Verband der Turnerschaften auf deutschen Hochschulen den ersten Mensurtag im neuen Semester und damit den ersten Mensurtag in unserer Alma mater eröffnet. Endlich sind die Verbote und Verfolgungen des Waffenstudententums, die das sozialdemokratische Deutschland mit aller Schärfe erlassen hatte, und die die Marxisten mit aller Strenge durchführten, gefallen. ... Endlich darf man wieder stolz und freimütig zum ehrlichen Zweikampf auf Schläger antreten und darf die Narben, die auf Mensur erworben wurden, unbekümmert und offen vor jedermann tragen, denn sie sind Zeugnis einer aufrechten, ehrenhaften Gesinnung. Nicht zu einer Schaunummer sollte dieser Tag der ersten Mensur herabgewürdigt werden, sondern er sollte bezeugen, was fechten heißt und worum es auf Mensur geht, darum waren drei Partien von den drei Turnerschaften Cimbria, Markomannia und Teutonia gestellt ... . ... Unserm Kanzler Adolf Hitler verdanken wir es, daß der Schlägerklang nicht mehr im Verborgenem zu erklingen braucht, daß nicht mehr vor der Polizei die Speere ängstlich versteckt werden müssen. Das alte Kämpferwort hat wieder Gültigkeit: pro patria est, dum ludere videmur. Rasch und schneidig wurde gefochten und bald gab es auf beiden Seiten "Blutige" und auch "Abfuhr". Doch wen das erschauern läßt, der soll ruhig fortbleiben, für Memmen ist kein Platz auf dem Mensurboden, ist auch kein Platz im neuen Deutschland.

Klar werden jetzt viele denken, das ist doch Schnee von gestern und Dinge sind auch immer in ihrem Zeitgeist zu betrachten und zu bewerten. Aber welcher Zeitgeist entschuldigt es, zutiefst antisemitisch und rassistisch zu sein? Der Punkt ist, daß sich die wenigsten Verbindungen, ganz zu schweigen von der Deutschen Burschenschaft im allgemeinen, ernsthaft mit ihrer Geschichte auseinandersetzten und -setzen. Man beruft sich unschuldig auf die antifeudalen Grundwerte der Burschenschaften zur Zeit ihrer Entstehung in der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts und ihre angebliche Verfolgung im Dritten Reich. Von kritischer Auseinandersetzung keine Spur. Im Gegenteil. So ist die Greifswalder Rugia im Uni-Führer stolz auf ihre Tadition seit 1856 und setzt sich mit den gleichen Farben wie ihre Urväter für ein "starkes deutsches Vaterland" ein. Daß sich diese ungebrochene Tradition im Geiste nicht nur auf Symbolik beschränkt, zeigt folgende Veröffentlichung eines Antrags einer Greifswalder Burschenschaft, den wir im crash 2/95 fanden:

Antrag der Burschenschaft Markommania Greifswald [an den Burschentag 1994, d.R.] zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Der Burschentag möge beschließen: Die Deutsche Burschenschaft fordert die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich auf, in einem vereinten Europa der Vaterländer eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten herbeizuführen. Begründung: In einem Europa der Vaterländer sollte gerade Deutschland nicht zurückstehen, indem es sich selbst zerteilt. ... Bei einer Wiedervereinigung würden die Interessen Deutschlands sowie auch seine Rechte auf einen Punkt gebündelt werden. Dieses würde einerseits die Partnerschaft mit den anderen europäischen Staaten vereinfachen, andererseits würde der Teil von wirtschaftlicher und politischer Schwäche und Behinderung gegenüber Resteuropa wegfallen, den Deutschland sich durch Hinnahme und Zerstückelung selbst zuzuschreiben hat. Weiterhin ist eine Wiedervereinigung der beiden Deutschen Staaten in dem Europa der Vaterländer eine wichtige Voraussetzung um irgendwann später mal anschließend auch für die deutschen Gebiete unter momentaner Fremdverwaltung eine Wiederangliederung an das deutsche Vaterland herbeiführen zu können.

Auf die Veröffentlichung dieses Antrags folgte ein nur mit "B! Markomannia" unterzeichneter erboster Aushang, in dem zwar dieser Antrag absolut verteidigt wurde, die crash Redaktion aber trotzdem angegriffen wurde. Mensch würde ja alles sowieso nur vom Hörensagen kennen, stecke voller Vorurteile und scheue die direkte Auseinandersetzung mit Verbindungsmitgliedern. Was einem so passieren kann, läßt mensch sich auf ein Gepräch ein, davon berichtete ein gutes Jahr später ebenfalls der crash in seiner Ausgabe 8/96. Unter der Überschrift:

Von den Menschen ... Ich kann nicht denken, also bin ich ...

heißt es:

Vor wenigen Tagen in einer Kneipe geschah es, daß ich - nichts böses tuend und an nur wenig denkend - ohne ersichtlichen Grund von einem recht seltsamen Wesen mit einer unglaublich lächerlichen Kopfbedeckung und einer mehrfarbigen Schärpe um den aufgedunsenen Oberkörper angesprochen wurde. Da er auch von seinem sonstigen Äußeren eher nicht zu den Menschen gehört, die ich für gewöhnlich zur Kenntnis zu nehmen pflege, war ich recht überrascht und sah mich zunächst auch zu keiner Antwort in der Lage. Aber eine solche schien irgendwie auch nicht erwartet worden zu sein ... und ich begann mich ernsthaft zu fragen, unter welchen schrecklichen Wahrnehmungsstörungen dieser junge Mensch nur leiden könnte, daß er gerade mich zum Ziel seiner Mitteilungen auserkoren hatte ... Nun gut, während ich also überlegte, was ich getan haben mochte, daß Gott mir diese Plage auf den Hals schickt, versuchte mich eben diese davon zu überzeugen, daß alle Frauen geistig vollkommen minderbemittelt seien, eigentlich pauschal entmündigt gehörten, trotzdem aber bei einigen Dingen immer noch sehr gut Verwendung fänden. Letztere Aussage begleitete er mit einer obszönen Handbewegung. Ich verzichtete dann darauf zu bemerken, daß ich dieses alles ein wenig anders sehe und man nicht von sich auf andere schließen soll, weil, er sabberte gerade so schön; was wohl in engem Zusammenhang mit seinen obszönen Gesten stand, welche ihn anscheinend an die billigen Heftchen unter seinem Bett erinnerten, die - so hatte es zumindest den Anschein - wohl sein gesammeltes Wissen in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen darstellen. Weiter berichtete mir dieser Mensch, den ich in diesem Moment eigentlich nur noch unglaublich lästig nennen mochte, von den „unglaublichen“ Mengen Bier, die er und seine Mit-Schanden des menschlichen Geschlechts in der Lage sein zu konsumieren und propagierte - nach wie vor begeisternd sabbernd - die Vorteile des 24 Stunden Daueralkoholrausches. ... Ich entschloß mich, ihn darauf hinzuweisen, daß übermäßig intensiver Alkoholgenuß unweigerlich zu Gehirnschäden führt. Weiter erklärte ich ihm, daß dieses für ihn sicherlich kein Problem mehr darstellte, für mich aber durchaus,da ich für gewöhnlich mein Gehirn zu benutzen pflege: ich fügte dann noch hinzu, daß es meiner Ansicht nach angenehmere und sinnvollere Beschäftigungen als Saufen, Kotzen und besoffen durch die Gegend torkeln gebe, vor allem wesentlich kreativere und produktivere. Auch vergaß ich nicht zu erwähnen, daß ich ein solches Verhalten für bodenlos primitiv, überflüssig und höchst verachtenswert halte. Diese Ausführungen meinerseits schienen seinen beschränkten Verstand ziemlich zu überfordern, denn auf einmal sagte er gar nichts mehr. Er betrachtete mich nur noch mit weit aufgerissenen Augen, als wenn er zum ersten Mal ein denkendes Lebewesen gesehen hätte; was bei dem Umgang, den er normalerweise pflegt, natürlich nicht auszuschließen ist. Liebe Burschenschaftler, eigentlich habe ich ja gar nichts gegen Euch (was an sich eine Lüge, aber kommunikationsnotwendig ist). Es mag sicherlich auch sein, daß sich von Zeit zu Zeit ein Lebewesen, das Spuren von Inteligenz besitzt, in Eure Reihen verirrt und man mitunter sogar richtig gut über Euch lachen kann (Existenzberechtigung also doch irgendwo vorhanden). Von mir aus könnt Ihr Euch verstümmeln und Totsaufen soviel und solange Ihr wollt, schließlich ist es Euer Leben. Aber ich wäre Euch schon wirklich sehr dankbar, wenn Ihr mich da raushalten könntet. Also ganz einfache Regeln: Sprecht mich nicht an und unterlaßt vor allem diese dümmlichen Aushänge mit diesen plumpen Anwerbungs- und erbärmlichen Rechtfertigungsversuchen. Ansonsten werden die Sache und ich ungemütlich.

Savage passion

Nach massiver Kritik und angeblich auch der Drohung einer Klage wegen Volksverhetzung folgte dann im crash 2/97 eine peinliche und recht rückgratlose Entschuldigung der Chefredakteurin des crash, die sich an die Burschenschften im Gesamten und die Rugia im Speziellen richtete.

Durch einen groben Fehler meinerseits wurde in oben genannten Ausgabe der Artikel „ Von den Menschen ...ich kann nicht denken, also bin ich“ veröffentlicht, in dem eine der Redaktion namentlich unbekannte Person massiv die Burschenschaften angreift. Ich bin zutiefst beschämt und entschuldige mich bei allen betroffenen Personen. Es tut mir sehr leid, daß es durch mein ledigliches „Überfliegen“ des Textes zu dieser Veröffentlichung kam.

Dies war ein kleiner Überblick über die Funde eines kurzen Literaturstudiums über studentische Verbindungen im Allgemeinen und speziell für Greifswald. Uns ist klar, daß wir hiermit eine bei manchen mehr als empfindliche Stelle getroffen haben und wir sind auf eventuelle Reaktionen mehr als gespannt, denn eine offensive Auseinandersetzung mit diesem Thema wird bisher von den unterschiedlichsten universitären Gremien nicht geführt. Dies ist als eine Anregung dafür zu verstehen.

InfoBox: Artikel aus "Die Zeit" vom 11. Juni 1993

Tiefe Mensur

Daß sich die geistige Elite des Landes in schlagenden Verbindungen organisiert, daran glauben vielleicht noch die Verbindungsstudenten selbst und eine Handvoll alter Herren. Spätestens nach dem 125. Pfingsttreffen des Coburger Conventes, zu dem 5000 Studenten ins fränkische Coburg reisten, dürften auch die letzten belehrt sein: Dem Schärpenträger, der auf dem Marktfest lautstark seine Solidarität mit den Mördern von Solingen bekundete, mögen Wohlwollende noch seine Angetrunkenheit mildernd anrechnen. (Wir tun es nicht) Aber was ist mit dem offenbar nüchternen Festredner der Hamburger Landsmannschaft Mecklenburgia- Vorpommern, der während der traditionellen Totenehrung im Park von Coburg den “ethischen Wert und die beispiellose Hingabe und Opferbereitschaft” von Hitlers Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg würdigte? Und der, ohne daß ihm jemand eine Schärpe in den Mund stopfte, ausrief: “Wie glücklich könnten wir uns schätzen, wenn der heutigen Generation nur ein bißchen von dem Idealismus geblieben wäre!” - Die einzige Frage, die nach dem Coburger Treffen noch bleibt: Wie tief dringen Mensuren eigentlich in den Schädel ein?


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