Von Wahlen und Prozenten

Der Herbst war eine „Superwahljahreszeit“ in diesem Jahr. In fünf Bundesländern wurden die Menschen zur Wahl des Landesparlamentes aufgefordert. Was von vorneherein klar war: Die Wahlbeteiligung würde ein historisches Tief ergeben. So war es dann auch: Hatten in Thüringen(ca. 60%)*, im Saarland (ca. 62%) und in Berlin (65,9%), noch über 60 % der wahlberechtigten Bevölkerung ihre Stimme für den Landtag abgegeben, waren es in Brandenburg noch ca. 56,33% und in Sachsen 57,9%. Die Wahlen standen voll im Zeichen der Bundespolitik. SPD und Grüne hatten im September 98 für einen Politikwechsel geworben, den es bis heute einzulösen gilt. Die Ignoranz und Inkonsequenz der Bundesregierung bei Verfolgung dieses Zieles führten dazu, daß die WählerInnen sich zunehmend von SPD und Grünen enttäuscht abwandten. Das war länderübergreifend in ganz Deutschland so. Zwar konnte die CDU als eine der „großen Volksparteien“ davon profitieren - im Saarland gewannen sie die Regierungs-, in Thüringen und Sachsen die absolute Mehrheit, doch hatte die Gruppe der NichtwählerInnen die größten Zuwächse. So verlieren die Stimmenanteile der CDU, mit 51 % in Thüringen -und knapp 57 % in Sachsen, deutlich an Gewicht, wenn man die oben genannten Zahlen der Wahlbeteiligung sieht. Z.B. steht gerade mal ein Drittel der Bevölkerung aus Thüringen hinter dem dortigen Wahlsieg. Ein großer Jubel, so wie er von den „ChristdemokratInnen“ in allen Medien wahrzunehmen war, ist also nicht gerechtfertigt. Doch da müssen sich alle politischen Parteien Gedanken machen, wenn das ohnehin schon kleine Maß an demokratischer Mitgestaltung in diesem Lande, derartig gefährdet ist. Der Trend in den ostdeutschen Ländern ging dahin, das die SozialdemokratInnen ihren Anspruch, der sozialen Gerechtigkeit weitestgehend verloren haben. Sie müssen sogar befürchten, als politische Kraft der „Neuen Mitte“ zwischen CDU und PDS zerrieben zu werden. Denn die PDS, welche neben der CDU stark zulegen konnte, übernimmt zunehmend soziale Themen, und schafft es mit Erfolg, sich links zu profilieren. So konnte sie in Thüringen und Sachsen als zweitstärkste Kraft in die Parlamente einziehen, im Westteil von Berlin konnte sie erstmalig die 5 % - Hürde überspringen. Es ist verständlich, daß die Aufmerksamkeit der Medien als auch der übrigen Parteien daher sehr hoch war, durfte es ja nicht wahr sein, daß die „SED-Nachfolger“ als zweite Kraft nach der CDU einzogen. Für Grüne und FDP war es ein einziges Debakel. Beide Gruppierungen haben keine breite, politische Basis in den ostdeutschen Bundesländern. Demzufolge sind die Liberalen hier in keinem Landesparlament vertreten, die Grünen nur in Berlin mit 9,9 % der Wählerstimmen, was einen Verlust von immerhin 3,3 % bedeutet. Im Saarland sind beide Parteien aus dem Parlament abgewählt worden und das, obwohl die Grünen bis dahin noch vertreten waren und auf einen Wiedereinzug durchaus hoffen konnten. Aus den Wahlen kann man mögliche politische Motive der Bevölkerung ableiten. Sie haben eindeutig gezeigt, daß die Politikverdrossenheit schon groteske Formen angenommen hat. Jeder Mensch, der politisch denkt oder gar aktiv ist, sollte diese Entwicklung mit großer Sorge sehen und Seiniges dagegen unternehmen. Letztendlich ist dies vor allem das Ergebnis der unsozialen Politik der letzten Jahre seit 1990. Die Menschen aber, in Ost und West gleichermaßen, wollen in erster Linie soziale Sicherheit. Alle Wahlniederlagen kurz nacheinander haben die SozialdemokratInnen jedoch nicht davon abgehalten, in Berlin und Brandenburg die Regierungsbeteiligung mit der CDU abzulehnen. Auch Gerhard Schröder sah sich zu einer Änderung seiner Politik auf Bundesebene, hin zu mehr Gerechtigkeit, nicht veranlasst. Was unter Kohl begann, setzt sich nun fort. Die sicheren Sessel der Macht sind eben angenehmer als eine Politik für die „kleinen“ Leute. Auf jeden Fall sind wir von einer demokratischen, sozial gerechten Gesellschaft weit entfernt. Die großen Konzerne und Betriebe bestimmen immer rigoroser die Entwicklung. Das „Sich Rechnen“ durchzieht immer weitere Kreise in der Gesellschaft und wird doktrinhaft von oben verordnet. Das registrieren die Menschen in ihrer Lebenswelt und reagieren darauf, besonders im Osten, da dort die Probleme schärfer zu Tage treten. Beunruhigend ist auch, daß die Nazipartei DVU, trotz Mandatsbetrug in das Brandenburger Parlament eingezogen ist. Auch ein Ausdruck der unsozialen Politik der vergangenen Jahre. Sie war nicht in der Lage, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen. Soziale Unsicherheit und hohe Arbeitslosigkeit haben schon immer den Nährboden für Rassismus und Faschismus gebildet. Jeder, der sich als Demokrat sieht sollte hierbei deutlich aufmerken, wenn solche menschenfeindlichen Strömungen Zuwachs bekommen, ganz gleich in welcher Art.

* Ergebnisse nach: Neues Deutschland, Ausgaben vom 06.09.99, 13.09.99, 14.09.99, 20.09.99, 21.09.9912.10.99.

DST


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