Deutsches Solidaritätsplakat für die Matrosen von Kronstadt
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Karte von Kronstadt und Petrograd
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Der Aufstand der Matrosen von Kronstadt Teil 2 (Ende)

Die Dritte Revolution

Am Tag nach der Gründung des Komitees am 2. März 1921 stand in der Zeitung “Mitteilungen des Provisorischen Revolutionskomitees der Matrosen, Rotarmisten und Arbeiter der Stadt Kronstadt”: “Die kommmunistische Partei, die das Land regiert, hat die Verbindung zu den Massen verloren und sich als unfähig erwiesen, das Land aus dem Zustand allgemeiner Zerrüttung herauszuführen. Sie hat den Unruhen, die in letzter Zeit in Petrograd und Moskau ausbrachen (...) nicht Rechnung getragen. Auch die Forderungen, die die Arbeiter erhoben, hatten sie nicht berücksichtigt. Sie hält alles das für Umtriebe der Konterrevolution. Doch sie irrt sich gewaltig.” Der Geist von Oktober 1917 lebte in Kronstadt wieder auf. Die Fliegerdivision von Oranienbaum auf dem Festland schloß sich am 3. März dem Komitee an. Die Bolschewiki waren hilflos und verwirrt. Sie verhängten verschärftes Kriegsrecht über die Provinz. Unter Parolen, wie Matrosen seien die Werkzeuge früherer zaristischer Generäle, wurde die gesamte Revolution verleumdet. Delegationen von Matrosen aus Kronstadt, die die Petropawlowsk Resolution in der Provinz Petrograd verkünden wollten, kehrten nie zurück. Auf dem Festland wurden sie sofort festgenommen. Der militärische Berater Trotzkis für diese Region, Koslowsky, der den Aufstand nicht verhindert hatte, wurde für “außerhalb des Gesetzes stehend” erklärt. Das Petrograder Verteidungskomitee stellte den Kronstädtern ein Ultimatum. In Petrograd lebende Verwandte von den Kronstädtern wurden als Faustpfand für die auf der Insel inhaftierten Kalinin (bolschwewistischer Funktionär) und Kusmin (Komissar der baltischen Flotte) in Gewahrsam genommen. Die Kronstädter verurteilten diese Tat in einer Radiosendung, in der sie ihre Gewaltfreiheit nochmals beteuerten. Als die Bolschewiki bemerkten, daß sie mit offener Gewalt nicht gewinnen konnten, drehten sie den Spieß um. Sie kauften für mehrere Millionen Rubel Lebensmittel aus dem Ausland für die Petrograder Provinz, sogar Schokolade war dabei, welche ein absoluter Luxus für die damalige Zeit war. Mit dieser Verwirrungstaktik kam die Regierung weiter. Gleichzeitig wurden Betriebsleitungen ausgetauscht und Anhänger der Revolution in Kronstadt entlassen. Mit Hilfe einer brutalen Kampagne wandten sich die Petrograder sehr schnell von den Kronstädtern ab. Die Insel war isoliert. Dazu kam, daß der Frühling auf sich warten ließ und dadurch Kronstadt eingefroren war. Die Rote Armee konnte auf diese Weise Kronstadt sehr leicht angreifen. Die Fliegerdivision in Oranienbaum wurde von der Roten Armee gestürmt. Der einzige Stützpunkt auf dem Festland war somit verloren. Die Schiffe waren festgefroren, sie konnten nur nach Westen oder Norden schießen. Ähnlich erging es den Artellerieforts. Kronstadt begann strategische Fehler zu begehen. Anstatt das Eis sofort zu zerstören oder Oranienbaum wieder einzunehmen, hofften sie vergebens auf die Revolution vom Festland. Außerdem hielten sie an ihrer Gewaltfreiheit fest. Die Situation war hoffnungslos. Als die Rote Armee am 7. März 1921 angriff, entschlossen die Rebellen sich zu wehren. Mit der zu Verfügung stehenden Feuerkraft schossen sie riesige Löcher ins Eis. Jetzt waren die Rebellen im Vorteil, aber ein unnötiges Blutvergießen konnte nicht mehr verhindert werden. Soldaten der Roten Armee brachen ins Eis ein. Viele Soldaten desertierten, weil sie die Aussichtslosigkeit erkannten. Die Schlacht war für die Regierung verloren. Ganz Kronstadt war euphorisch, und glaubte, daß sich die Revolution jetzt endlich auf ganz Rußland ausbreiten würde. Und was tat Lenin? Lenin war für die Kronstädter der letzte Hoffnungsschimmer. In Kronstadt glaubte man, daß Lenin früher oder später seine Fehler zugeben würde und seine Revolution für gescheitert erklären würde. Doch Lenin hielt sich aus dem Konflikt raus. Erst zehn Tage später auf dem Parteitag äußerte er sich. Er nannte das Komitee konterrevolutionär und kleinbürgerlich. Die Revolution bezeichnete Lenin “als Brücke für den Übergang zur weißgardistischen Macht.” Er verurteilte die Rebellen massiv. Mit dieser Rede reihten die Kronstädter Lenin in die Reihe “Trotzki und Co” ein. Es war nun klar, daß die Kronstädter auf sich selbst gestellt waren. Aber der Funken der Revolution wollte nicht auf das Festland springen. Der physische und psychische Druck nahm in Kronstadt immer mehr zu. Es machte sich allmählich Unruhe breit. Weitere kleinere Angriffe der Bolschewisten schwächten die Insel. Trotzki holte nun zum letzten Schlag aus und um sich nicht nochmals zu blamieren, tat er das, was er von Anfang an den Rebellen unterstellt wurde. Er holte sich zaristische Offiziere und fremde Truppen (Ukraine, Polen, Lettland, China) ran. Dazu kam, daß sich 300 Delegierte des parallel stattfindenen 10. Parteitages sich freiwillig meldeten. Darunter demokratische Zentralisten und Mitglieder der Arbeiteropposition, die eigentlich ähnliche Ziele hatten wie die Kronstädter. Trotz der mangelnden Begeisterung für die Revolution, gab es doch ab und zu mal ein paar Anzeichen der Unterstützung. Die Moral der Soldaten der Roten Armee blieb weiterhin schlecht. Sie wollten einfach nicht gegen die Weiße Armee kämpfen. Eisenarbeiter wehrten sich Truppen nach Kronstadt zu transportieren. Am 16. März griffen 50.000 Mann Kronstadt an. Die einzig wirksame Waffe der Matrosen waren die zwei Kriegsschiffe. Im Nu hatten die Bolschewiki diese zerstört. In der Nacht zum 17. Mai griffen dann auch die Bodentruppen an. Mit Suchscheinwerfern versuchten die Rebellen die Angreifenden abzuhalten. Auch Worte wie “Wir sind eure Freunde. Wir sind für die Macht der Sowjets. Wir schießen nicht!" halfen nicht. Diesmal hatten die Kronstädter keine Chance. Ein blutiger Kampf begann. Gefangene wurden kaum gemacht. Generäle führten an sowjetischen Soldaten exemplarische Exekutionen durch, die sich weigerten weiter vorzudringen. Überlebene Soldaten berichteten: “Das Weiß des Schnees und des Eises war über und über mit Blut bedeckt.” Am Ende blieb den übriggebliebenen Matrosen nur die Flucht nach Finnland. Die Bilanz des Tages waren 10.000 Tote und Verwundete auf seiten der Rotarmisten und mehrere tausend auf seiten der Matrosen. 2500 Matrosen wanderten in die Gefängnisse nach Petrograd. Doch dort holte man sie bald raus und deportierte sie in die Straflager im Gouvernement Archangelsk und zwei Jahre später in die besonders berüchtigten “Nördlichen Lager zur besonderen Verwendung” (SLON) auf die Solowetzi- Inseln im Weißmeer, wo die meisten vermutlich elendig zugrunde gingen. Viele Familienmitglieder aus Petrograd von in Krondstadt lebenden Menschen wurden ebenfalls in die nördlichen Lager deportiert. Viele in Finnland lebende Flüchtlinge kehrten durch Amnestieversprechen wieder nach Rußland zurück. Auch sie wurden deportiert oder exekutiert. Obwohl anfangs Unbehagen in den Parteien herrschte und sich ab und zu doch jemand Gedanken über die letzten Tage machte, kehrte Sowjetrußland wieder in den Alltag zurück. Die Diktatur einer kleinen Gruppe um Lenin ging weiter.


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