big brother

Hoher Besuch für Heiligendamm 1.4.2005
Unsere Landesregierung holt die G8 ins Land. Wen dürfen wir erwarten?    
Heiligendamm als Zentrum der Weltpolitik. Dieser Traum der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns wird sich 2007 erfüllen. Schon seit geraumer Zeit bewarb sich die Regierung unseres Bundeslandes darum, den nächsten G8-Gipfel in Deutschland in der weißen Stadt am Meer austragen zu können. Mittlerweile ist es offiziell: Der Traum wird zur Wirklichkeit, denn das Seebad Heiligendamm ist ein geradezu perfekter Ort für so einen Gipfel.
  Infoveranstaltung zur G8 am 7.4.2005 um 19 Uhr im Infoladen (Lange Str. 14, Greifswald)
Das Kempinski Grand Hotel liegt direkt am Meer und ist ein Edel-Luxushotel - angemessen für die Mächtigsten Männer der Welt. Die Lage des Ortes Heiligendamm, indem das Hotel gelegen ist, zeichnet sich durch Abgeschiedenheit aus: Auf einer Seite die Küste und im Hinterland Wiesen und Felder. Dabei ist es jedoch nicht aus der Welt. Rostock, die nächstgelegene Großstadt ist keine 25 Kilometer vom Ort des Gipfels entfernt. Die richtige Entfernung, um alle fern zu halten, die nicht dabei sein sollen, und alle, die in Heiligendamm keinen Platz haben, unterzubringen. Zudem bietet Rostock als Messestadt die nötige Infrastruktur, die benötigt wird, um dem großen Gefolge eines Gipfel die Arbeit zu ermöglichen. Die Lage des Ortes spricht für sich. Der Meinung war man auch in Berlin, als man sich für Heiligendamm entschied. Harald Ringstorff und sein Wirtschaftminister Ebnet scheinen also ihr Ziel erreichen zu können:
Der Nobelkurort wird im Sommer 2007 für einige Tage im Zentrum der Weltpolitik stehen.
 
Die Gruppe der Acht  
Interessant ist nur zu wissen, wer da nach Heiligendamm kommen soll. Die G8, also die Gruppe der 8, ist nicht leicht zu fassen. Sie ist keine internationale Organisation, allerhöchstens eine Institution, aber ohne feste Struktur.
Im Grunde genommen ist es nur ein jährliches, informelles Treffen von neun mächtigen Menschen, die alle jeweils eine große Wirtschaftsmacht repräsentieren. Schon seit 1975 treffen sich die Giganten der Weltwirtschaft in Form der Staats- und Regierungschefs von mittlerweile 8 Ländern (1) und des Präsidenten der EU-Kommission. Sie versuchen gemeinsam, in informeller Runde, die großen Probleme der Welt zu lösen. Doch wie die Auswahl der Teilnehmer schon nahe legt, ist für sie das Hauptanliegen zuallererst das Wohlergehen der Weltwirtschaft - der Weltwirtschaft unter ihrer Führung. Mit der Zeit erweiterte sich der Problemkatalog, zu dessen Lösung sie sich berufen fühlen, so dass die Wirtschaft schon seit längerem nicht mehr im medialen Mittelpunkt der Gipfel steht.
Die Strukturen der Gruppe sind durch ihren informellen Charakter geprägt, es gibt also kein zentrales Büro und keine zentrale Behörde, um die Unternehmungen der Gruppe zu koordinieren. Vielmehr wechselt von Jahr zu Jahr die Präsidentschaft und jedes Land übernimmt somit nacheinander die Organisation der Treffen. Die G8 kristallisiert sich besonders deutlich während der Treffen der Staats- und Regierungschefs heraus, welches einmal jährlich im jeweils gastgebenden Land stattfindet. Neben diesem Treffen, gibt es noch Runden für verschiedene Themengebiete und Ressorts, wie für Finanzen, Handel, Umwelt und das Treffen der Außenminister. Allen Treffen ist gemeinsam, dass sie für die Öffentlichkeit geschlossen sind, was genau darin besprochen wird, ist also nicht klar. Das einzige, was man erfährt, ist, was die Übereinkünfte der Gruppe sind. Diese Papiere, Kommuniques genannt, sind schon für sich brisant genug, um eine immer stärker werdende Kritik an der Gruppe entstehen zu lassen.
Dabei beruht die Kritik zumeist nicht nur auf den Kommuniques der Gipfel, sondern sie basiert auch auf einer Kritik der Struktur und der Politik der Gruppe. Jedoch ist eine kritische Auseinandersetzung mit der G8 nicht sehr einfach, da sogar schon eine so banale Frage, wie die der Zusammensetzung, schwierig zu erklären ist.

Beim Morgenbad ein Gespräch über das Klima und den Wassermangel,...
Problem: Die Zusammensetzung  
Sieht man sich die Auswahl der Mitgliedsstaaten der Gruppe an, so erscheint vor den Augen schnell ein großes Fragezeichen. Denn es ist nicht wirklich ersichtlich, nach welchen Kriterien sich die Gruppe in ihrer heutigen Form zusammengefunden hat. Wenn man die einzelnen Auswahlkriterien untersucht, anhand derer sich die Gruppe zusammengesetzt haben könnte, so erscheint immer mindestens ein Mitglied zuviel zu sein.
Hinterfragt man die Mitgliedschaft nach der Wirtschaftskraft, passt Russland nicht in die G8 oder es fehlen viele Industrieländer, sowie einige Schwellenländer wie China, die Tigerstaaten oder Australien, die eine stärkere Wirtschaftskraft haben als Russland.
Nimmt man an, dass die Zusammensetzung der Gruppe auf einem gemeinsamen Eintreten für eine kapitalistische Wirtschaftsordnung im demokratischen Rahmen besteht, so ist wieder Russland zuviel, angesichts der demokratischen Defizite.
Geht man davon aus, dass das Leitprinzip der Zusammensetzung die wirtschaftliche regionale Führung ist, so ist Kanada zuviel (Führungsmacht in Nordamerika sind die USA), jedoch z.B. Brasilien, Südafrika, Australien und Staaten wie Indien und China zu wenig.
Nimmt man die Militärkraft, die nötig ist, um wirtschaftliche Stärke zu verteidigen, als Auswahlkriterium, so ist Japan zuviel, es fehlen jedoch wieder einige Länder wie China oder Indien.
Es gibt somit kein einzelnes Auswahlkriterium, nachdem sich die Gruppe zusammensetzt. Meiner Ansicht nach gibt es nur einen halbwegs befriedigenden Erklärungsansatz im Bezug auf die Zusammensetzung der G8. Dieser stimmt weitgehend mit dem ersten Kriterium, der Wirtschaftskraft, überein und unterstreicht den ökonomischen Schwerpunkt der Veranstaltung und passt auch historisch am ehesten. Danach wäre die Mitgliedschaft der G7 (also vor der Aufnahme Russlands) wirtschaftlich zu erklären. Die Mitgliedschaft Russlands beruht dann jedoch nicht auf der nicht-existenten wirtschaftlichen Kraft, sondern mehr auf der symbolischen Bedeutung, die dem Land als ehemaliger Hauptgegner des neoliberalen Westens zu Zeiten des Kalten Krieges zukam. Die G8 in der heutigen Form schließt somit die größten Befürworter und die ehemals schärfsten Gegner der neoliberalen globalen Wirtschaftsordnung ein und kann somit als Symbol des derzeitigen Sieges dieser ökonomischen Denkschule angesehen werden.

...in der Lobby einige Überlegungen zur Verschuldung der 3. Welt und zu AIDS in Afrika, Ostasien und der Karibik....
Kritik: Zusammensetzung  
Die Zusammensetzung führt zu starker Kritik. Viele Kritiker der G8 sind der Meinung, dass das Hauptproblem der Gruppe ist, dass sie zu exklusiv ist. Diese Kritik geht also besonders davon aus, dass die G8 unter einem Legitimationsdefizit leidet, dass nur durch eine Vergrößerung und eine stärkere Variation der Mitglieder aufhebbar sei. Es wird als Problem gesehen, dass bisher -außer Russland - nur Industrieländer Mitglieder sind, während der Großteil der Staaten, die entweder in die Kategorie der Entwicklungs- oder Schwellenländer fallen von der Veranstaltung ausgeschlossen sind. Kritiker dieser Linie fordern deshalb die Aufnahme weiterer Länder, um die Gruppe repräsentativer zu machen. Insbesondere wird die Aufnahme von Ländern bisher unterrepräsentierter Erdteile gefordert. Darunter fallen besonders Afrika, Ozeanien und Lateinamerika, die bisher noch gar nicht in der Gruppe vertreten sind, sowie auch Asien, dass im Vergleich zu Nordamerika und Europa stark unterrepräsentiert ist. Klar ist jedoch, dass keine Reform der Gruppe ihre politischen Inhalte grundlegend verändern könnte. Die politischen Inhalte beruhen auf der Annahme, dass einige ausgewählte Länder der Welt vorangehen müssen und im kleinen Rahmen die Probleme der Welt zu lösen haben.
...und nach der Arbeit noch ein Kaffee - zum Entspannen.
Kritik: Inhalte  
Der Hauptangriffspunkt an der G8 macht sich jedoch nicht an ihrer Struktur, sondern an deren Inhalten fest. Diese Linie der Kritik beschäftigt sich mit den politischen und wirtschaftlichen Positionen, die während der G8 Treffen beschlossen und danach in Politiken umgesetzt werden. Hierbei steht im Mittelpunkt, wie die G8 den Neoliberalismus vorantreibt. Die Gruppe der Acht wird verdächtigt die neue Wirtschaftsordnung, wie sie heute besteht, erst möglich gemacht zu haben und noch immer zu stützen. Diese neue Wirtschaftsform wird gemeinhin Neoliberalismus genannt. Diese Wirtschaftsordnung zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie auf einem fast grenzenlosen Vertrauen in die Selbstregulation des Marktes beruht. Als Aufgabe des Staates wird es nur angesehen, einen freien Markt zu ermöglichen und zu erhalten. Politisch zeichnet sich diese Ordnung durch ihre uneingeschränkte Befürwortung des freien Handels von Waren, Dienstleistungen und Kapital aus. Institutionell manifestiert sich dies auf internationaler Ebene besonders in Form der Weltbank (WB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandelsorganisation (WTO). Diese drei Institutionen stellen die Hauptinstrumente zur globalen Durchsetzung des Neoliberalismus dar, da sie alle die weitere Öffnung, Liberalisierung und Einbindung weiterer Märkte in die Weltwirtschaft forcieren. Deshalb stehen auch diese drei Institutionen im Zentrum der globalen Kritik, die sich gegen den Neoliberalismus wendet. Gerade weil die neoliberale Wirtschaftsordnung verantwortlich gemacht werden kann für das wachsende Gefälle von Arm und Reich zwischen und innerhalb von Ländern sowie für die Unterordnung einer steigenden Anzahl von Lebensbereichen unter die Gesetze des Marktes.
Der Zusammenhang zwischen der G8 und der Triade WB-IWF-WTO ist leicht ersichtlich, wenn man einen Blick in die Kommuniques der G8 wirft.
Schon seit dem ersten Kommunique von 1975 tritt die G8 für die Öffnung von Märkten für Waren, Dienstleistungen und Kapital ein. So lässt sich in dem Kommunique von 1984 (London) der Satz finden: "Wir müssen das internationale Handelssystem stärken und ausweiten und die Kapitalmärkte liberalisieren."
Dieser Politik folgend traten die Staaten der G8 auch vehement für die Gründung der WTO ein und auch für die Miteinbeziehung der Verträge zum Handel mit Dienstleistungen (GATS) und zum handelsrelevanten geistigen Eigentum (TRIPS) (2). Die Vorstellungen der G8 schlagen sich nicht nur in der WTO nieder, sondern noch viel mehr in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond, alldieweil die Macht der G8 hier besonders groß ist. In der Weltbank besitzen die Staaten zusammen 47 % der Stimmen, die restlichen 176 Mitglieder haben zusammen die restlichen 53 %. Im IWF sind es sogar 48 % zu 52 %. Das Machtverhältnis ermöglicht den G8-Staaten in beiden Organisationen beinahe einen Alleingang. Dementsprechend sah auch lange Zeit die Politik des IWF und der WB aus, bis die G8 durch Proteste auf der Straße zu partiellen Zugeständnissen gezwungen wurde (siehe unten). In der WTO jedoch, in der die Regel 'ein Land, eine Stimme' gilt, ist die Macht nicht so groß. Deshalb konnten bisher nur zwei der fünf Ministerkonferenzen der WTO im Sinne der G8 erfolgreich abgeschlossen werden. Von den letzten drei Konferenzen sind zwei gescheitert und die Dritte konnten die Industrieländer nur unter enormen Einsatz von wirtschaftlicher Erpressung und politisch-militärischem Druck zum Erfolg führen.
Somit besteht das Hauptproblem der Forderungen der G8 vor allem darin, dass sie nicht nur die Länder betreffen, welche die Staats- und Regierungschefs der G8 repräsentieren, sondern dass die gesamte Welt davon betroffen ist. Man kann sogar sagen, dass die Gesellschaften außerhalb der G8-Staaten stärker von dem Treiben der G8 betroffen sind, als die G8-Länder selber. Das liegt daran, dass die Mitglieder diejenigen sind, die derzeit noch am Meisten von der neuen Wirtschaftsordnung profitieren, während die Außenstehenden unter den Konsequenzen zu leiden haben.
Die Forderungen gehen hierbei jedoch auseinander. Während die einen auf eine Vergrößerung der Gruppe setzen fordern die anderen die Abschaffung der G8. International gibt es schließlich auch jetzt schon im Rahmen der Vereinten Nationen die Möglichkeiten der Kooperation und des Austauschs von Information.

Infos zu den diesjährigen G8-Protesten gibts hier
Reaktionen auf die Kritik  
Es ist nicht zu übersehen, dass auf die Kritik reagiert wurde. Jedoch fällt diese Reaktion nicht wirklich im Sinne der Kritiker aus.
Der Kritik an der Legitimierung wird damit begegnet, dass eine neue Gruppe gegründet wurde. Die G20, die eine Erweiterung der Gruppe der Acht darstellt (3), umfasst zusammen zwei Drittel der Weltbevölkerung und 90 % des weltweiten Bruttosozialprodukts (BSP). Zwar beschäftigt sich die Gruppe nur mit Fragen der internationalen Finanzmärkte, doch mit einer kaum zu kritisierenden Legitimierung.
Als Reaktion auf die inhaltliche Kritik kann der Versuch gewertet werden, sich nunmehr hauptsächlich mit aktuellen Themen der internationalen Diskussion auseinander zu setzen, wie AIDS, Umweltverschmutzung und Verschuldung. Aber die Bereicherung durch neue Themen ist nicht gleichzusetzen mit einer Kehrtwende in der inhaltlichen Ausrichtung. Vielmehr werden die neoliberalen Positionen auch auf diese Felder übertragen. So setzen die Staaten der G8 z.B. auf dem Feld der AIDS-Bekämpfung und Prävention primär auf private Akteure (Großkonzerne aus den G8-Staaten), anstatt die Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft ernsthaft finanziell zu unterstützen. Hinter den neuen Themen werden die alten weiterhin besprochen, jetzt aber jenseits der medialen Aufmerksamkeit.
Eine Reaktion auf die Kritik von der Strasse ist, dass sich seit Genua kein G8-Gipfel mehr in dicht besiedeltes Gebiet, geschweige denn eine Stadt wagen konnte. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich nun vor der Bevölkerung verstecken, wenn sie nicht von den Protesten übertönt werden wollen, wie es während des Gipfels 2001 in Genua geschah.
Deshalb werden die Gipfel in entlegenem Gebiet abgehalten. So auch der nächste Gipfel, der vom 6. bis zum 8. Juli in Gleneagles, einem privaten Golfhotel in Schottland stattfinden wird. Zur selben Kategorie kann auch das abgeschiedene Seebad Heiligendamm gerechnet werden. Aber so sehr sie sich auch verstecken mögen. Die Kritik an der Organisation ist noch nicht verstummt. Es kann also weiterhin mit Protesten gerechnet werden.
 
Aufruf!  
Gerade im Blick auf Heiligendamm liegt es nun an uns Strukturen aufzubauen, die eine erfolgreiche Mobilisierung ermöglichen.
Deshalb rufen einige Greifswalder zur Gründung einer anti-g8-Gruppe auf, um für Schottland zu mobilisieren und von ihnen zu lernen, und um uns auf die Proteste in Heiligendamm vorzubereiten.
Am 7. April wird um 19 Uhr im Infoladen (Lange Str. 14) eine Infoveranstaltung zur G8, den nächsten Gipfeln und zur Vorbereitung für Heiligendamm stattfinden mit dem Ziel Strukturen für eine Mobilisierung aufzubauen. Bei weiteren Fragen: antig8hgw@no-log.org
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Anti-G8, Greifswald  
1: USA, D, F, GB, J, I, CAN, der EU und nach dem Zusammenbruch der SU, auch Russlands
2: Diese beiden Verträge GATS (General Agreement on Trade and Services) und TRIPS (Trade-related aspects of intellectual property rights) sorgen derzeit für die größten wirtschaftlichen Umwälzungen. Im Rahmen von GATS werden Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung) privatisiert, während die Politik von TRIPS in der EU z.B. in Form von e-Patenten umgesetzt wird.
3: Außer den Ländern der G8 nehmen noch Vertreter aus Argentinien, Australien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Südkorea, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und der Türkei sowie der Ratspräsident der EU, der Präsident der EZB sowie Vertreter von WB und IWF teil
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