blickwinkel
Likedeeler 14, Sommer 2004

Retro - Gestern wird Morgen  
Modern ist jetzt rückwärtig  
   
Es begann für RTL ja wie mit einem Gedicht: Oliver „Olli“ Geißen, ihr „junger Jauch“, sattelte von dieser Talkshow am Nachmittag auf ein Showformat am Abend um und es war ein Riesenerfolg. Die 80er Show. Nach den geplanten Folgen, in denen sich Ex- Stars und B- Prominenz die Klinke in die Hand gaben, um ihr Abbild von damals zu feiern und insgeheim auf das große Comeback hofften, folgte noch die eine oder andere Extraausgabe. Da war es aber schon zu spät. Die einen freuten sich, die anderen imitierten eifrig das, was sie nie werden wollten - ihre Eltern. Wie sollte es anders sein, wenn sich der Markt selbst feiert und es richtig zu verkaufen weiß: das Publikum hatte angebissen, sperrte das Maul auf und die Industrie sah, dass es gut, aber lange noch nicht genug war.  
     
So ganz wollen wir unserem Olli aber doch nicht die Ehre des Stein- lostretens geben, denn die Retrowelle begann schon vor ihm. Schlaghosen und lange Haare sind ja schon längst wieder salonfähig, „Wer wird Millionär?“ ist auch nur ein Quizformatremake und die Ostalgie gabs auch schon vorher, auch wenn sie jetzt immer schrägere Auswüchse annimmt.
Aber eine gewisse Mitschuld an der Misere hat der Olli dann doch. Allein das Format an sich, die Rückblick- Show hat sich seuchenartig vervielfältigt. Wir hatten nebenan die 70er Show, die 90er Show, die DDR Show, die Come Back- Die große Chance Show, die Top 100 der besten und schlechtesten Lieder überhaupt, Superhits der letzten Jahre- Shows. und natürlich die ultimative Chartshow. Parallel dazu quollen überall wieder die längst vergessenen Stars aus den Böden, weil sie den schon gedeckten Tisch rochen. Da saßen sie nun beisammen, freuten sich über ihre zweiten fünf Minuten Ruhm, schwelgten in alten Zeiten und versuchten vergangene Charthits nachzusingen -oder zu summen, wenn sie den Text nicht mehr so gut kannten. Aber das Lied habe sie voll bewegt, sie wüssten noch genau, wie sie damals plötzlich... ach ja, das waren noch Zeiten.
Tja, das haben wir nun davon. Es hat nämlich längst übergegriffen, die verblassten Stars sind schließlich auch nicht von gestern. Der unerwartete Rummel kann, ja muss ausgenutzt werden! Wenn sie unsere kleinen, dummen Herzen nicht schon bei den Shows erobert haben sollten, dann eben auf die harte Tour! Plötzlich taucht Nena wieder auf, preist für uns Schuhe, Waschmittel und ihre neuen Songs an, die eigentlich die Alten sind, nur elektronischer. Waschmittel hat ja generell auch immer dieselben Eigenschaften, nur noch weißer wird es ständig. Aber Nena hat es ja in letzter Zeit sogar noch zu einigen Zusammenarbeiten mit Westbam oder Toc Toc gebracht. Andere Bands, wie z.B. Culture Beat, covern sich einfach selbst. Mr. Vain Recall.
Man sind die dumm. Die wissen aber auch nicht, wann Schluss ist. Aber es klappt eben! Eigentlich sind wir ja die Dummen, die wir uns so etwas (zum zweiten Mal) von der Industrie aufdrücken lassen. Es ist in der Tat erstaunlich, wieviel Geld man ausgibt, um das zu kaufen, was man vor einigen Jahren eigenhändig weggeschmissen hat. Das fängt bei zerrissenen und ausgewaschenen Jeans an, geht über neue T- Shirts mit völlig ausgewaschenen Disney Motiven und endet bei Handtaschen aus dem Material der beblümten DDR Plastiktischdecken. Vintage- Look. Alles in unserer Zeit scheint es schon einmal gegeben zu haben, die eigene Identität fehlt vollkommen. Was werden uns die Werbefritzen, die heute die Best of Summer 69 anpreisen, uns in 30 Jahren versuchen aufzuschwatzen? Best of the 00ers inklusive the Best of 70er, 80er und 90er? Die Mode damals, werden sie 2040 sagen, die Mode bestand damals aus dem Müll der vorangegangenen Jahrzehnte, industrielles Recycling könnte man sagen. Die Filme, nun da könne man sich die Remakes bzw. die neuere Version des Themas - Die Liga, Sky Captain, Dirty Dancing 3, Alien vs. Predator, The Day After Tomorrow - oder aber auch die Originale aus den 60ern ansehen. Kleidung? Siehe vorangegangene Jahrzehnte.
     
   
     
Wenn wir davon ausgehen, dass die Industrie unser Begehren lenkt, dass sie Bedürfnisse erschafft, um sie danach zu stillen, wenn wir also schon unseren eigenen kleinen Intellekt in die Obhut der großen Werbestrategen und Konzerne legen, muss man sich trotz dieser Sicherheit doch fragen - fällt denen denn auch nichts Neues mehr ein? Zweifellos ist es eine Meisterleistung, jemanden dazu zu bringen, etwas zu kaufen, dieses dann später wegzuschmeißen, um noch später erneut Geld dafür auszugeben. Bestimmt spiegelt sich da auch ein gewisses Amüsement in den Augen der „Erfinder“. Aber so richtig umwerfend ist es dann doch nicht.
Eigentlich ist das alles nur ein armseliges Zeugnis für die Stumpfheit der Gesellschaft, für Einfältigkeit und Ideenlosigkeit. Auf beiden Seiten.
Aber eine wirklich neue Errungenschaft, eine wirklich neue Geißel der Menschheit haben sie ja doch hervorgebracht. Das Handy. Immerhin.
 
Johannes Tretau