leserbrief
Likedeeler 14, Sommer 2004

Bildungsarmut
-Wie unser Staat seine Schafe heranzieht-  
   
Dass das Geld knapp wird hören wir nicht erst seit diesem Jahr, dass es an allen Ecken und Kanten, gerade dort, wo es dringend benötigt wird, an finanziellen Mitteln fehlt ist wohl noch nie eine Ausnahme gewesen.
 
Der gewöhnlichen Empörung über neu eingeführte Studiengebühren setzte David Krebs im letzten Likedeeler seinen Artikel über die „Bildungsbourgeoisie“ entgegen. Durch die Aufhebung von Hörgeldern seien die Wohlhabenden besser - und die Ärmeren relativ schlechter gestellt. Nur 8% aller Studenten kämen aus sozial schwächeren Milieus. Eine kostenlose Hochschuldbildung bedeute nur, dass der „Bildungsadel“ durch die allgemeinen Steuern finanziert werde.
Vielleicht hat Krebs ganz recht damit, wenn er für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer plädiert - die Reichen könnten sich kostenpflichtige Bildung leisten und den Vermögensschwachen würden keine Steine in den Weg gelegt. Meines Erachtens ist unser wahres Problem weitaus gravierender als der chronische Geldmangel. Nicht nur, dass es schon bei der Einschulung immense Chancenunterschiede gibt, sondern später auch bei der Wahl von Haupt- oder Realschule bzw. dem Gymnasium. Das wahrhaftige Übel ist unser altes marodes Schulsystem, dass den Schülern die Lust am Lernen nimmt und einfach nur lebloses Faktenwissen einzuprügeln versucht.
Es bedarf einer radikalen Schulreform: von Lernmethoden und Lehrplänen über Lehrerqualifikation bis hin zu besseren Lernbedingungen. Wie viele Lehrer stehen einfach nur vor ihrer Klasse, kauen Jahr für Jahr den gleichen Stoff durch, machen einfach nur ihren Job und haben nicht im entferntesten die Absicht der Jugend etwas fürs Leben mitzugeben? Unser Schulsystem lässt kaum Platz für alternative Projekte, neuartige Konzepte von engagierten Lehrern werden sofort in den Boden gestampft; Begabtenförderung erhalten nur die, deren Eltern den Privatunterricht finanzieren können; an Aktualität im Unterricht mangelt es obendrein: die Schüler verlassen die Schule, ohne politisch aufgeklärt oder wenigstens interessiert zu sein, ohne fähig zu sein, sich kritisch mit ihrer Umwelt auseinander zu setzen - geschweige denn selbstständig zu sein. Sechs von 25 Schülern einer Hauptschulklasse 8 verlassen die Schule mit dem Abschluss der 6. Klasse, weil sie weder die siebte noch die achte Klasse geschafft haben, 19 Schüler sind versetzungsgefährdet. Wo bleiben diesen Jugendlichen noch die Chancen? Noch immer verlassen bis zu zehn Prozent der Schulabgänger die Schule ohne Abschluss - ohne Qualifikation drohen diese jungen Menschen zu den Langzeitarbeitslosen von morgen zu werden. Hinausgeworfen in eine Gesellschaft, die gar nicht das Verlangen hat, Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Begriffe wie „praxisorientiert“ - „auf das wirkliche Leben vorbereitend“ und „lernen wie man lernt“ bleiben nach wie vor Fremdwörter im Schulalltag.
Und unser Hochschulwesen ist auch nicht minder betroffen. Dass man höhere Bildung als eine Art Dienstleistung ansehen soll, für die es wie selbstverständlich zu zahlen gilt, dagegen sträube ich mich. Sie ist eher Vorraussetzung dafür, dass wir später Leistungen erbringen, unsere Gesellschaft formen und Innovationen liefern. Würde nicht gerade unsere Bürokratie es den Leuten, die sich kostenpflichtige Bildung nicht leisten können, schwer machen das zu beweisen - und würden nicht durch die geforderten Gebühren die Vermögenden zwar missgestimmt, die Ärmeren aber abgeschreckt?
Ich plädiere viel mehr dafür, dass die 33 Milliarden Euro für neue Eurofighter, Kampfhubschrauber und Militär-Airbusse einfach mal in die Bildung fließen: Erneuerung von Schulgebäuden, bessere Ausstattung in Technik, Geld für Projekte, Entfall von Hochschulgebühren, Begabtenförderung etc. - 33 Mrd, das bedeutet, dass wenn man jeder Bildungseinrichtung 10 Millionen (!) gewährt - ungefähr 3300 Schulen und Universitäten u.ä. was vom Kuchen abkriegen würden. Man bedenke: Deutschland gibt jährlich gerade mal rund 8 Mrd. Euro für Bildung und Forschung aus.
Doch all die Rechnerei nützt nichts, wenn der Apfel innen schon faul ist. Unsere Bildungsarmut besteht nicht nur darin, dass wir keine Mittel dafür bekommen; sondern nicht einmal anspruchsvolle Bildung bieten können - der Apfel schrumpelt langsam vor sich hin. Man könnte meinen, Deutschland würde sich damit selbst den Hahn zudrehen, da wir „Ungebildeten“ in ferner Zukunft dieses Land führen müssen; aber das ist ein großer Trugschluss: die „Bildungsbourgeoisie“ reicht für diese Zwecke allemal und die restlichen Millionen müssen ruhiggestellt werden und einfach nur emsig ihrer Arbeit nachgehen oder wenigstens arbeitslos vorm Fernseher sitzen und sich vom Werbequalm berieseln lassen.
ALLERDINGS: WIR sind die Zukunft. Politik wird heute von den Alten gemacht. Wie viele junge Menschen gehen heute noch in die Politik? Wer lässt sich nicht vom Geflimmer der Mattscheiben einfangen und ist politikverdrossen? Morgen sind wir dran, morgen sitzen wir am Hebel - sind wir dann nicht besser als die Alten? Machen dieselben Fehler und verkaufen unsere Ideale von Gerechtigkeit für ein bisschen mehr privaten Luxus??
Gabi von mondamo.de