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Likedeeler 14, Sommer 2004

Bücher zum Verzweifeln  
Im Eingang von Buchläden steht der Hitlertisch neben dem Buschtisch. Bücher zum Thema Krieg haben schon seit Ewigkeiten Hochkunjunktur. Aber bei der Lektüre über dieses prekäre Stoffgebiet sollte man eine eigene Auswahl treffen.
     
Krieg, brutaler, grausamer Krieg ist allgegenwärtig, nur haben es die westlichen Nationen geschafft, ihn von Ihrem Terrain in wehrlose Gebiete zu verlegen. Eine Unterscheidung zwischen den eigenen Konflikten des Landes und den Interessen ist schon lange nicht mehr möglich. Die Nachrichten aus Kriegsgebieten füllen Seite für Seite.
 
   
Geht in den Buchladen Eures Vertrauens und schaut Euch nach dem Krieg um! Ihr werdet über vergangene, wie den zweiten Weltkrieg, genauso viel finden, wie über aktuelle Konflikte. Nie waren wir näher dran als mit den „Embedded-Journalists“. Kriege geben Anlass für hunderte von Analysen, Dossiers und Bücher. Wer kann eigentlich noch sagen, dass er alle kennt und durchschaut?
Einen validen Überblick wird erst die verstreichende Zeit liefern. In 1000 Jahren werden sie vielleicht die Gründe für den Irakkrieg kennen und über uns urteilen wie wir über den Peloponischen Krieg. Thuklydides legte 400 v. Chr. den Grundstein für politische Geschichtsschreibung mit einem Werk über Krieg.
Nebenbei sei bemerkt, dass er als Stratege nach einem „unglücklichen“ Kriegszug verbannt wurde. Leider war er Grieche und kein Amerikaner, sonst hätte man mal einen interessanten Präzendensfall.
Wie auch immer, das Grauen noch so entlegener Gewalttaten wird uns ins Wohnzimmer geliefert. Uns, die wir unseren eigenen letzten Krieg noch nicht einmal verarbeitet haben. Neben Wälzern über Technik der deutschen Marine und Luftwaffe der Wehrmacht, in denen ein erschreckend nüchterner Ton vorherrscht, wächst die Zahl von Zeugnissen der Vernichtung von Menschen. Wöchentlich erscheint das fragwürdige Heft „Landser“ in den Regalen der Bahnhofsbuchhandlungen. Dem steht die Neuauflage „Vernichtung der Juden“ in acht Bänden gegenüber.
Trotzdem wir von Literatur förmlich überschüttet werden, sind wir von einer allseits anerkannten Moral und einem einheitlichen Fazit, über das nun mehr über 50 Jahre zurückliegende Geschehen, weit entfernt.
Umso wichtiger wird es, Quellen und Berichte in das Gedächtnis zu rufen, welche abseits der gesellschaftlichen Wahrnehmung liegen. Da die Amerikaner das Greifswalder Kino beherrschen und vor allem deutsche Autoren die Buchläden, möchte ich an die Russen erinnern. Ihre Rolle in unserer Geschichte ist beträchtlich, unabhängig davon auf welche Weise man die Geschichte betrachtet.
 
Konstantin Simonow ist einer der russischen Kriegsautoren. Unvoreingenommen bin ich über sein Buch „Das so genannte Privatleben“ gestolpert. Wassili Nikolajewitsch Lopatin nimmt als Korrespondent der „Krasnaja Swesda“ am zweiten Weltkrieg teil. Ja nach Belieben der Moskauer Redaktion wird er von einem Frontabschnitt zum nächsten kommandiert. Auf zwanzig Tage in einem U-Boot folgen Tage an den Fersen eines Divisionskommissars. Auch wenn er eigentlich nur als Beobachter unterwegs ist, wird sein Wagen Ziel von Bombenangriffen und drückt ihm ein Kommandant ein Gewehr zum Sturm in die Hand. So wird der Krieg nicht in groben Zügen umrissen. Auf einer Seite formieren sich nicht 1000 Soldaten zum heldenhaften Angriff und auf der nächsten Seite ist die Hälfte dann gefallen. Nein, immer wieder werden einzelne Personen eingeführt. Man erfährt ein Teil von ihrem Leben, wie zum Beispiel von dem Divisionskommissar Pantelejew. Auf wenigen Seiten gewinnt dieser raubeinige, väterliche Charakter Zuneigung oder wenigstens Respekt. Geradlinig, direkt zieht er Untergebene zur Verantwortung, die Hunderte gedankenlos in den Tod schicken, weil sie rücksichtslos auf ihre eigene Sicherheit bedacht sind. Man denkt, das ist ein Held, wie er im Buche steht, ja, solche Männer haben den Krieg gewonnen! Aufrecht und stolz im Kugelhagel des Feindes erstürmt er zusammen mit dem einfachen Soldaten den nächsten Graben, welch ein Pathos.
Dieser Divisionskommissar stirbt als einziger auf dem Rückweg bei der Bombadierung seines Wagens. So entsteht ein Bild vom Krieg, welches meiner Meinung nach wesentlich authentischer und menschlicher ist, als jede Schilderung einer Schlacht oder unsterblicher Romanhelden.
Dazu gesellen sich Probleme in der Ehe. Seine wesentlich jüngere Frau lässt sich scheiden und er findet eine neue Liebe. Schicksale ehemaliger Kollegen, die mit dem Krieg nicht umgehen können, klingen an. Ein Dichter, berühmt und beliebt für Gedichte, die den Kampfgeist gegen die Eindringlinge beschwören, schafft es nicht an die Front zu fahren. Er kann seine Angst nicht überwinden und siecht, geplagt von Selbstvorwürfen, allein vor sich hin. All dies formt ein Bild vom Krieg, welches einen nicht ruhig im Sessel lesen lässt.
Gut, die Lektüre des Buches ist das eine, der Hintergrund des Autors das andere. Allein Simonow Ordensliste ist beachtlich: 6 Stalinpreise, den Lenin-Friedenspreis und Ehrentitel „Held der sozialistischen Arbeit“!
Wenn man in Kenntnis dessen postuliert, dass Konstanin Simonow parteitreu war, trifft das den Kern eines idealistischen Problems.
Als Sohn eines Offiziers arbeitete er nur ein Jahr in einer Fabrik, bis ihm der Einstieg in die Moskauer Filmstudios gelang. Seitdem zog seine literarische Karriere ihre Bahn. Die lange Liste der Veröffentlichungen möchte ich hier nicht wieder geben. Es sei nur darauf hingewiesen, das Simonow tatsächlich Frontberichterstatter während des zweiten Weltkrieges war. Er schrieb für die „Prawda“ und den „Roten Stern“.
Die große Frage ist nun, ob man ihn nun in die staubige Ecke der sozialistischen Literatur stellen soll? Sicherlich, es gibt genug Gründe dies zu tun.
Letztendlich ist aber jedes Buch über den zweiten Weltkrieg stark subjektiv gefärbt, muss es sein, sonst ist es unmenschlich. Das einzige was dagegen hilft, ist Bücher verschiedener Richtungen zu lesen. Denn dass es in einem Krieg keinen Guten und nicht nur einen Bösen gibt, soweit sollten wir es verstanden haben.

Eine Ideolgie lies die Deutschen den Krieg beginnen, eine andere half den Russen ihr Land zu verteidigen. (Lenin 1920)
Sebastian Föllner